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Brexit wegen Blödheit? – Teil I

Englische Symbole wie der rote Bus, die Queen und vieles mehr. Darauf die Aufschrift: Goodbye

Foto: Maret Hosemann/pixabay.com, CC0

Erwachsenenbildung soll bekräftigen, nicht belehren

Nach über zwei Monaten ist die Debatte über den Brexit in die Hinterzimmer der Öffentlichkeit verschwunden, wird aber dennoch in den nächsten Jahren bestimmend für das Zusammenleben bleiben. In diesem zweiteiligen Beitrag soll zentral eine Frage angesprochen werden: Welche Lehren können aus der Entscheidung in Großbritannien für die Erwachsenenbildung gezogen werden, zumal diese vom Auseinanderdriften der Staaten gefährdet ist?

Es sollte hier nicht auf eine „dumme“ Brexit-Wählerschaft geschlossen werden, die gebildet werden müsste. Hier wird die Lesart von Menschen dagegen gestellt, denen zunehmend die Möglichkeiten fehlen, ihre Interessen durchzusetzen; die versuchen, ein nicht zu beeinflussendes System weniger unübersichtlich zu machen, indem sie es zurück auf den Nationalstaat stutzen. Im zweiten Teil wird eine Skizze von Feldern geliefert die Erwachsenenbildung wirksam machen können gegen Demokratieverdruss von Eliten und „einfachen Wählenden“.

Eine Kollegin im Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Susanne Lattke, hat in ihrem Artikel auf der europäischen Plattform EPALE einmal auf die sich nun babylonisch auftürmenden organisatorischen Probleme der international verbundenen Erwachsenenbildung hingewiesen. Zu Recht fragt sie auch nach den Antworten, die Erwachsenenbildung auf die Desinformations- und Meinungsbildungproblematik in der politischen Debatte geben kann.

Eine Frau schaut völlg verwirrt in die Kamera und streift sich durch die Haare

Konfusion (Foto: Amélie Boulianne/World of Images, CC BY-NC-SA 2.5 CA)

Die Antworten auf Desinformation dort greifen aber meines Erachtens nach zu kurz. Wenn Erwachsenenbildung das Ziel hat, Menschen besser zu informieren, damit sie energischer am Gemeinwesen mitwirken können, muss sie mehr als nur organisatorische Probleme lösen und Politik erläutern. Sie muss ein anderes Selbstverständnis entwickeln und anders wirken als bisher. Nun zuerst zur vorherrschenden Erklärung des Brexit und wieso diese in meinen Augen unbrauchbar ist.

Bildung tut not – Aber gibt es einen Bildungsnotstand in UK?

Wenn wir uns die offenkundig schlecht begründeten Versprechungen der Leave-Kampagne ansehen (John Oliver hat in deutlicher und ansprechender Weise darauf hingewiesen), kann man am Geisteszustand der Wählenden für den britischen Austritt zweifeln. Sind Britinnen und Briten größtenteils zu dumm?

Diesem Verständnis folgend, müssten wir die Austretenden für einfach gestrickt oder dumm halten, für ungebildet, da sie sich aufgrund derartiger Argumente gegen eine so famose Sache wie die EU-Mitgliedschaft entscheiden.

Konkrete Aufgabenstellung einer jeden Bildung ist (auch) Aufklärung. Das meint für alle Teilnehmenden, besser zu begreifen, welche Probleme anstehen und welche Lösungen für diese entwickelt werden können. Man könnte meinen, die Erwachsenenbildung hätte weiträumig versagt. Sie hat den "Leavers" nicht erklären können, dass jenseits einiger Boulevardblätter eine spannende Welt voller Wissen wartet.

Ein Gesicht das komplett in Zeitungen eingehüllt ist. Man sieht nur das linke Auge des Mannes

Cenzura (Foto: Jacek Halicki/Wikimedia Commons, , CC-BY-SA 3.0)

Erklärt wird die Mehrheitsentscheidung also mit Dummheit oder Unwissenheit. Das ist in meinen Augen in zweifacher Hinsicht schlecht.

Einerseits kommt bei einer Wahl zwei verschiedenen Möglichkeiten zumindest eine gewisse Berechtigung zu. Wer also das „Leave“ für grunddumm hält, missachtet einen gehörigen Teil der britischen Bevölkerung. Dabei ist es egal, ob wir damit jene Elite meinen, die das Referendum befördert hat, oder Bürgerinnen und Bürger.

Andererseits stellt es der Erwachsenenbildung im (noch) Vereinigten Königreich ein ungerechtfertigt schlechtes Zeugnis aus, obwohl diese – Susanne Lattke wies in ihrem Artikel darauf hin – im europäischen Vergleich äußerst angesehen und gut entwickelt ist.

Es kann also nicht an der Dummheit und am fehlenden Wissen allein liegen.

Bildung macht fähig – vor allem marktfähig?

Weiter als die Frage nach der Verstandeskraft der „Leave“-Wählenden führt die Frage, wer welche Interessen durchsetzt, wenn Großbritannien aus der EU austritt und ob es noch einen anderen Weg dazu geben kann.

Ist es für „die Alten und die Dummen“ tatsächlich so viel schlechter, wenn sie nicht frei im Binnenmarkt konkurrieren (müssen)? Wir unterstellen dabei mal, dass sie häufig einen (relativ) sicheren Job haben, ein Haus oder eine Wohnung besitzen und seltener eine universitäre Bildung haben. Dabei nehme ich an, dass ein alleinstehendes Großbritannien den Wettbewerb anders regeln kann oder will, als eines, das in der EU ist. Was es erstmal beweisen muss, da der Zugang zum gemeinsamen Markt erhalten bleiben soll.

Anders gefragt: Ist es für John (56) aus Cleadon, South Tyneside, England, ein direktes, verständliches Verdienst der EU und des Binnenmarktes, dass die Arbeitslosigkeit in seiner Stadt in den vergangenen Jahren auf keineswegs beruhigende neun Prozent sank, nachdem sie jedoch noch vor zwei Jahren bei gut elf Prozent lag? Kann er mehr oder weniger dafür tun, dass die Politik seiner Stadt ihm bessere Perspektiven und größere finanzielle Sicherheit ermöglicht, wenn England nicht in der EU ist?

Wall Street: les nouvelles fortifications (Foto: Denis Chabot, World of Images, CC BY-NC-SA 2.5 CA)

Meine Überlegung: Egal, ob in einem Staat oder bei mehreren Staaten – eine Öffnung gegenüber den ärmeren Ländern und der „Zweiten Welt“ (Przepraszam, Polen), hilft erstmal nur einer kleinen Gruppe von Menschen. Besonders, wenn damit eine Zentralisierung von Macht und Entscheidungen, egal ob in Brüssel oder Berlin, einhergeht.

Jene Menschen profitieren, die mobil sein können und es sein wollen, die über genügend Fremdsprachenkenntnisse verfügen und Fähigkeiten und Eigenschaften haben, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Für alle anderen ist weder freier Handel, noch eine freie Migration, noch eine (von Eingriffen und Regeln) freie Wirtschaft notwendigerweise vorteilhaft.  

Wie der großartige Eric Hobsbawm so gut zeigte, brach etwa die Wirtschaft Albaniens im 20. Jahrhundert erst zusammen, nachdem sich das Land aus seiner Isolation herausbewegte. Mehr (wirtschaftliche) Offenheit ist also keinesfalls automatisch segensreich, besonders nicht für die ohnehin schon am Rande der Armut Lebenden. Oder wie Volker Pispers es ausdrückte: Für 50 Prozent der US-Amerikaner von heute wäre der Lebensstandard der DDR-Bürger von vor 30 Jahren das Paradies auf Erden.

Die Frage bleibt offen, ob Erwachsenenbildung bei allen die Eigenschaften zum erfolgreichen Arbeitskraftverkauf herausbilden kann.

Bildung macht Wissen – nur Wissen zur Selbstoptimierung?

Es war viel von der Frontstellung „Alt gegen Jung“ in den Tagen nach der Wahl zu hören, zu sehen und zu lesen. Das passt gut in eine Zeit, in der zunehmend Unterschiede zwischen Gruppen mit ähnlichen Interessen aufgezeigt werden, damit nicht zusammen demonstriert wird oder sich gemeinsame Bürgerinitiativen ergeben. In Deutschland wird das Verhältnis zwischen „Jung und Alt“ vorteilhaft als „Generationenvertrag“ bezeichnet sowie, nachteilhaft und häufiger, als „Generationenkonflikt“. Dabei verlaufen die Trennlinien zumeist ganz anders. Festzuhalten ist: Wir sind weit entfernt von einer allgemeinen Herrschaft der Silberhaarigen und Barhäuptigen. Nehmen wir jedoch genauer das Lebenslange Lernen für die Alten in den Blick. 

Der Brexit wird es schwerer für die Erwachsenenbildung machen, über den Staat hinweg Qualifikationen zu fördern. Aber was hätte die Erwachsenenbildung ohne den Brexit zustande gebracht, gerade für die Älteren?

Angenommen, Erwachsenenbildung hätte die Mittel und Möglichkeiten, um diversen Erwerbslosen oder von Erwerbslosigkeit Bedrohten Deutsch beizubringen, damit sie auf dem wachsenden Arbeitsmarkt der Republik eine Anstellung fänden. Kein Unternehmen in Deutschland würde diese „alten und (jungen) Dummen“ einstellen. Dabei ist egal, woher sie kommen, ob aus Spanien, Griechenland oder dem weiträumig unter Erwerbslosigkeit leidenden Nordost-England.

Weiter angenommen, dass, in einem hellen Moment der Völkerverständigung, BASF sich entschieden hätte, John (56) und Jane (53) aus Cleadon, South Tyneside, England, einzustellen, zusammen mit 2.000 anderen ihrer Kolleginnen und Kollegen, wie hätten wohl die Schlagzeilen in Deutschland ausgesehen? Ich stelle mir jetzt nicht direkt vor, dass die Bild-Zeitung „(Wirtschafts-)Refugees Welcome“ als Slogan ihrer Kampagne dazu auswählt.

New York: Top of the Rock (Rockefeller Center) - the observation desk (Foto: Reinhard Link/flickr.com, CC-BY-SA 2.0)

Dieses Problem kann nicht mit der Erwachsenenbildung gelöst werden. Was aber sollte diese Form von Bildung sein und was nicht? Erwachsenenbildung sollte nicht lediglich Fundorte von Wissen und arbeitsmarktnützliche Fertigkeiten vermitteln. Sie sollte es nicht als Kernaufgabe betrachten, Arbeitnehmer und Führungskräfte zu optimieren. Ein solches Angebot verdient nicht das Wort „Bildung“. Denn Bildung sollte mehr sein als nur die Herausbildung nachfrageoptimierten Fähigkeiten. Sie sollte das Fundament eines Gemeinwesens mitgestalten, in dem alle Menschen die Verhältnisse so beeinflussen können, dass sie zu ihnen passen und nicht umgekehrt. 

Diese Bestandsaufnahme mögen manche für düster halten. Wieder andere mögen sie als eine Argumentation für eine Abschottung à la Front National, UKIP oder AfD halten. Sie soll aber keins von beidem sein.

Darauf aufbauend wird es im zweiten Teil des Beitrags um einen Ausblick gehen. Dieser wird sich darauf richten, was Erwachsenenbildung, auch und gerade jetzt, an guter Veränderung anstoßen und wie sie sich dafür aufstellen kann.


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