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"Ein MOOC ist kein Wettlauf, der nur zählt, wenn ich über die Ziellinie komme"

Interview mit Nina Oberländer über den MOOC „Mein Digitales Ich“

Im Mai 2015 startete der „größte VHS-Kurs aller Zeiten“: der Online-Kurs „Mein Digitales Ich“. Der als MOOC (Massive Open Online Course) konzipierte Kurs behandelte Fragen rund um unsere digitale Identität im Internet. Im Netz erfreute sich der #ichMOOC genannte Kurs mit über 1.500 Teilnehmenden großer Beliebtheit. Der Kurs wurde angeboten von den Volkshochschulen Hamburg und Bremen in Kooperation mit der Fachhochschule Lübeck und ihrer MOOC-Plattform mooin. Wir haben mit Nina Oberländer – neben Joachim Sucker die Moderatorin – über die Erfahrungen des #ichMOOC gesprochen.

wb-web: Frau Oberländer, Ende Juni 2015 ging Ihr vier Wochen andauernder ichMOOC zu Ende. Haben Sie bereits durchschnaufen und die Eindrücke verarbeiten können?

Nina Oberländer: Joachim (Sucker), Jöran (Muuß-Merholz) und ich mussten uns erst wieder an ein Leben ohne ichMOOC gewöhnen. Aber der Arbeitsalltag holt einen schnell wieder ab. Sie kennen das bestimmt. Die Gespräche unter den Kooperationspartnern, die Eindrücke abzugleichen und Auswertungen zu reflektieren, steht im August 2015 an. Ergebnisse und Zahlen schreiben wir in unser Logbuch unter www.ichmooc.de im Herbst 2015.

wb-web: Im Netz kursierte der Titel „größter VHS-Kurs aller Zeiten“. Wie viele Teilnehmer hatte der ichMOOC insgesamt und wissen Sie auch wie viele Teilnehmer den Kurs abgeschlossen haben?

Nina Oberländer: Bei Abschluss des Kurses am 27. Juni waren mehr als 1.500 angemeldet. Jetzt sind es über 1.600. Das ist „massiv“. Ein durchschnittlicher VHS-Kurs hat etwa zehn bis 15 Teilnehmer. Aber das lässt sich so natürlich nicht wirklich vergleichen. Natürlich schauen wir uns auch an, wie viele Badges eingesammelt wurden, wie viele Einträge es in den Foren gibt und auch die Downloadzahlen der Teilnahmebestätigung interessieren uns. 

wb-web: In den Lernvideos treten Sie und Ihr Kollege Joachim Sucker von der VHS Hamburg als Moderatoren auf. Ein solch ambitioniertes Projekt erfordert vermutlich die Unterstützung durch viele weitere helfende Hände. Wie viele Personen sind an der Konzipierung und Durchführung des ichMOOCs in etwa beteiligt?

Nina Oberländer: Aufseiten der Volkshochschule waren es Joachim Sucker und ich zur Erstellung der Materialien für den MOOC. Dazu kommen natürlich all die mutigen kleinen und großen Volkshochschulen, die mit uns das Experiment MOOCbar eingegangen sind. Jöran Muuß-Merholz war als Verstärkung für Konzept und die Video-Regie dabei. Zwei Personen, die stundenweise in der Kommunikation mit den Teilnehmenden unterstützt haben und das siebenköpfige Team von oncampus für die Technik und die Video-Erstellung. Insgesamt also zwölf beteiligte Personen. 

wb-web: Und wie viel Vorbereitungszeit haben Sie für die Erstellung des MOOCS benötigt?

Nina Oberländer: Von der ersten Idee bis zum fertigen MOOC sind ungefähr neun Monate vergangen. Für das Konzept und die Umsetzung der Materialien haben wir drei Monate gebraucht. 

wb-web: Mit der VHS Bremen und der VHS Hamburg haben sich zwei Volkshochschulen (in Kooperation mit der FH Lübeck) für die Erstellung des MOOCs zusammengefunden. Haben Sie bereits Interesse bei weiteren Weiterbildungsanbietern wahrgenommen, die ebenfalls gerne einen MOOC durchführen würden?

Nina Oberländer: Ja, natürlich. Wir führen erste Gespräche, wie wir den ichMOOC für bestimmte Zielgruppen anpassen können. Ideen für weitere MOOCs haben wir natürlich auch. 

wb-web: Für die technische Umsetzung haben Sie mit der FH Lübeck kooperiert und Ihre Plattform mooin genutzt. Steht die Nutzung der Plattform auch anderen Weiterbildungsanbietern offen?

Nina Oberländer: Soweit ich Andreas Wittke von oncampus verstanden habe, sind alle herzlich eingeladen, diese Plattform zu nutzen. Fragen schadet sicher nicht.

 wb-web: Ist die Durchführung eines MOOCs mit dem Budget von beispielsweise Volkshochschulen in kleinen bis mittelgroßen Städten überhaupt denkbar?

Nina Oberländer: Ohne die technische Unterstützung von oncampus und der FH Lübeck wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen. Eine Plattform für den MOOC hätten wir vielleicht noch finden können, aber die Umsetzung der Videos hätte unser Budget gesprengt. Deswegen glaube ich, dass solche Projekte nur in Kooperation möglich sind. Das ist meine Sicht aus der operativen Ebene.

 wb-web: Ein charakteristisches Merkmal dieses MOOCs ist die Verbindung zwischen on- und offline. So haben Sie an drei Terminen sogenannte MOOCbars veranstaltet, in denen sich in ganz Deutschland Teilnehmende des MOOCs getroffen haben, um über Vorträge von Experten und die Themen des ichMOOCs zu diskutieren. Wie war die Resonanz auf diese MOOCbars?

Nina Oberländer: Es waren mehr als 37 MOOCbars jedes Mal dabei. In den Volkshochschulen vor Ort saßen auch viele, die sich online noch nicht angemeldet hatten und erstmal wissen wollten, was ein MOOC ist. Wie online lernen geht und wie man das macht. Ich habe auch einige Mails bekommen mit der Bitte, die Absender beim Kurs anzumelden. So haben wir nicht nur on- und offline verbunden, sondern auch viele offline an die Hand nehmen können, damit sie das Gefühl „online“ und Vernetzung einmal erleben können. Social Media kann man nicht durch Erklären erlebbar machen. Jeder und jede muss dort selber eintauchen, um zu erfahren, was Social Media für sie sein kann und welchen Nutzen es individuell hat. Für mich war es ein einmaliges Erlebnis, während der MOOCbars zuzusehen, wie immer mehr Standorte sich dazugeschaltet haben, bis 37 Kamerabilder von 37 verschiedenen Orten bei uns virtuell zusammengelaufen sind.

 wb-web: Ein Teilnehmer schrieb im Forum des ichMOOCs: „Dies war der erste deutschsprachige MOOC, der mich nicht nur positiv überrascht hat, sondern auch mit dem Drum-und-Dran (Fragen im Video, Badges Gamification) richtig ‚gezogen‘ hat.“ Haben Sie selber ein MOOC- Vorbild, an dem Sie sich bei der Planung und Durchführung orientiert haben?

Nina Oberländer: Nein, ein bestimmtes Vorbild habe ich nicht. Ich war schon bei einigen MOOCs angemeldet. Und immer haben mir ein paar der Lösungsideen gut gefallen. Am ehesten würde ich den „Gute Apps für Kinder“ vom medialiteracy Lab nennen. Deswegen wollte ich auch unbedingt mit Jöran Muuß-Merholz am Konzept arbeiten.

 wb-web: Es gibt teilweise Kritik an MOOCs, die darauf abzielt, dass nur ein geringer Teil der angemeldeten Teilnehmer einen Kurs auch wirklich beenden. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?

Nina Oberländer: Die Debatte um Dropouts, also Abbrecherzahlen bei MOOCs erscheint mir sehr Lernen 1.0. Gehört zum selbstbestimmten Lernen auf persönlichen Lernwegen nicht auch dazu, dass ich mir aus dem Angebot das herauspicke, was mich interessiert? Unabhängig von den restlichen Inhalten? Ein MOOC ist kein Wettlauf, der nur zählt, wenn ich über die Ziellinie komme. Selbst als sogenannte Lurker in kann ich viel lernen, ohne dass meine persönlichen Learnings durch Auswertungen quantifizierbar sind. In einem MOOC zählen die Erkenntnisse der Teilnehmenden. Konnten sie aus den Angeboten einen persönlichen Lernweg schaffen und ein persönliches Lernnetzwerk? Haben sie das Gefühl, sie haben sich weiterentwickeln können? Im konnektivistischen Lernansatz – und da finden Sie den Ursprung der MOOCs – kommt es viel mehr auf diese Fragen an, als darauf, wie viele der Aufgaben erledigt wurden und wie viele am Ende noch aktiv mit dabei sind. Unsere Aufgabe als Moderatoren war es auch nicht, die Teilnehmer von Anfang bis Ende des Kurses an die Hand zu nehmen, sondern eher eine sichere Wohlfühl-Umgebung für die Dauer des MOOCs zu schaffen. Das haben wir einmal mit der Metapher der Kreuzfahrt versucht und auch mit dem Salon auf Facebook. So haben wir Orte als Ausgangspunkt für Vernetzung und für die unterschiedlichen Lernwege und Lernwegknoten angeboten. In der Vorstellungsrunde haben wir die Teilnehmenden persönlich und einzeln willkommen geheißen, auch um zu zeigen, was wir uns als Umgangsform im MOOC wünschen, um einen respektvolles Miteinander zu schaffen auch solchen gegenüber, die sich vielleicht das erste Mal im Internet zu Wort melden.

wb-web: Planen Sie und Ihr Team für die Zukunft weitere MOOCs?

Nina Oberländer: Ich wäre sehr daran interessiert, das Format weiterzuentwickeln. Mit den MOOCbars sind wir schon einen Schritt Richtung MOOC 4.0 gegangen. Mit dieser Erweiterung würde ich gerne konsequenter weiterarbeiten. Experimentieren würde ich auch gerne mit der Möglichkeit, MOOC-Teilnehmer schon beim Erstellen des Curriculums mit einzubeziehen. Zum Bespiel über die sozialen Netzwerke. Informationen überholen sich immer schneller und Curricula müssen fluider werden, um mithalten zu können und interessant zu bleiben. Auch im Bereich der Foren auf den MOOC Plattformen ist noch viel Entwicklung nötig, um das konnektivistische Lernen konsequenter zu unterstützen. Dementsprechend wünsche ich mir noch weitere MOOCs, gerne mit diesem Team und auch anderen MOOC-Menschen, von denen ich und wir etwas lernen können.

Nina Oberländer ist Online-Redakteurin an der Bremer Volkshochschule. Der MOOC „Mein Digitales Ich“ basiert auf ihrer Idee, Konzeption und Moderation. Sie ist auf Twitter unter @noberlaender zu finden.


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