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Literaturanalyse: Nachhaltigkeit und Globalisierung als Herausforderungen für die politische Erwachsenenbildung

Globalisierungsprozesse lassen die heutigen Gesellschaften zu einer komplexen und global zusammenhängenden Weltgesellschaft werden. Menschen sind zunehmend als Weltbürger/innen gefordert, diese Weltgesellschaft auszuhalten und darüber hinaus auch zu gestalten. Nachhaltigkeit spielt dabei als wertgebendes Element eine wichtige Rolle.

In der Literatur gibt es sehr unterschiedliche Aussagen darüber, wie Weltbürger/innen sein sollen, die von rein normativen bis hin zu stark kompetenzorientierten Vorstellungen reichen.

Das eigene Leben im Kontext der Weltgesellschaft

Mit Seitz (2002) ist ein Mindestmaß an weltbürgerlicher Identität als Legitimationsgrundlage für demokratische Entscheidungen über globale Regulationsmechanismen unverzichtbar. Demokratie setzt eine „Wir-Identität“ voraus, auch wenn es noch keine Demokratiemechanismen auf Weltebene gibt. Wichtig sei die Fähigkeit, das eigene Leben im Kontext der Weltgesellschaft verantwortungsbewusst gestalten zu können. Dies verlangt die Kompetenz, die komplexen Wirkungen des eigenen Handelns mit globalen Erfordernissen in Einklang zu bringen und das Vermögen, den eigenen Standpunkt und die eigenen Interessen im Licht anderer Sichtweisen und Interessen relativieren und damit den eigenen Beurteilungskontext fallweise erweitern zu können. (Seitz 2002, S. 449-450).

Vielfältige Herausforderungen

Treml (2011) gibt aus evolutionstheoretischer Sicht zu bedenken, dass „der Mensch von Natur aus kein Weltbürger sei, sondern ein nahbereichsorientiertes Kleingruppenwesen“ (S. 195). „Um zu einem erfolgreichen Kosmopoliten zu werden, bedarf es vielseitiger und unspezifischer Fähigkeiten, Neugier und hohe Flexibilität, weil nur diese Fähigkeiten ein Lebewesen in die Lage versetzen, auch völlig neue Situationen zu bewältigen.“ (ebd.).

Asbrand (2009) stellt in einer empirischen Studie mit Jugendlichen fest, dass v. a. Reflexionskompetenz, die Kompetenz, Informationen zu beschaffen und zu bewerten, die Perspektivübernahme und die Fähigkeit, mit Unsicherheit produktiv umzugehen wichtig sind, um sich selbst in der Weltgesellschaft als handlungsfähig wahrzunehmen.

Lang-Wojtasik (2012) erkennt vier zentrale Lernherausforderungen für heutige Weltbürger/innen, nämlich den Umgang mit zunehmender Offenheit, mit Wissen und Nichtwissen, mit Gewissheit und Ungewissheit sowie Vertrautheit und Fremdheit (S. 4).

Von der pluralen Zugehörigkeit

Möhring-Hesse (2010, S. 87 ff) verweist auf das Prinzip der „pluralen Zugehörigkeiten“ von Amartya Sen (2002). Er legt dar, dass wir multiple Identitäten entwickelt haben. Wir gehören nicht nur zu einer Familie, einer Nation, einem Kontinent oder sei es einer Welt, sondern wir fühlen uns verschiedenen Gruppen zugehörig, die durchaus auch grenzüberschreitend angelegt sein können. Diese Gruppen haben jedoch das Potential, auch globale Probleme erfolgreich anzugehen. Sie haben sich dafür jeweils passende Gerechtigkeitsvorstellungen entwickelt und Rechts- und Solidaritätsverhältnisse geschaffen. Daher sei es nicht nötig, gezielt auf die Entwicklung von weltbürgerlichen Identitäten hinzuarbeiten. Die politische Bildung sollte ihre Aktivitäten stattdessen weiterhin „an Bürgerinnen und Bürger adressieren, die zunehmend stärker in unterschiedliche transnationale Zusammenhänge eingebunden sind, aus denen ihnen vermutlich wachsende transnationale Verantwortungen und Solidaritätspflichten zufallen.“ (Möhring-Hesse 2010, S. 89-90).

Kenntnisse und Fähigkeiten

Grobbauer (2014) verweist auf zwei Konzepte der Erziehungswissenschaftlerin Vanessa Andreotti aus der Global Citizenship Education. Sie plädiert für die Herausbildung einer „critical literacy“, also der Fähigkeit Texte und Aussagen dahingehend reflektieren und analysieren zu können, wer die Aussage aufgrund welcher Interessen und Ziele getätigt hat und wie man sie interpretieren kann – die Reflexion des eigenen Standpunktes eingeschlossen. Als zweites nennt sie die „transformative literacy“, also die Fähigkeit, Informationen über gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu verstehen und eigenes Handeln in diese Prozesse einzubringen (ebd., S. 32).

Das Konzept der global citizen

Wintersteiner et. al. (2015, S.11) formuliert eine Beschreibung von Fähigkeiten der Weltbürger/in, die sich ebenfalls am „global citizen“ Ansatz orientiert: Ein/e global citizen kann demnach weltweite Probleme/Themenbereiche in ihrer sozialen, politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und umweltpolitischen Dimension erkennen. Er oder sie verbindet das Verständnis für verschiedene nationale, religiöse, kulturelle, soziale usw. Identitäten von Menschen mit dem Bewusstsein für eine gemeinsame übergeordnete Identität als Menschen, die individuelle kulturelle, religiöse, ethnische, etc. Differenzen überbrückt. Ein/e global citizen nützt sein/ihr Wissen über globale Fragen, um universelle Werte wie Gerechtigkeit, Gleichheit, Würde und Respekt zu befördern. Er oder sie kann außerdem kritisch, systematisch und kreativ auch die eigene Situation hinterfragen und reflektieren, verschiedene Perspektiven einnehmen und Themen aus verschiedenen Aspekten, Ebenen und Positionen heraus verstehen. Er oder sie verfügt über Empathie, Konfliktlösungskompetenzen, Fähigkeit zu sozialen Interaktionen mit Menschen aus verschiedenen Kontexten (Herkunft, Kultur, Religion, etc.) und kann kooperativ und verantwortungsvoll mit anderen Menschen zusammenarbeiten, um gemeinsame globale Lösungen für globale Herausforderungen zu finden.

Ein/e global citizen ist selbstreflexiv und hat ein gestärktes Bewusstsein für Zusammenhänge zwischen dem eigenen Handeln, gesellschaftlichen Strukturen und wirtschaftlichen Prozessen sowie Formen von Ungleichheit und Ungerechtigkeit auf den verschiedenen Ebenen und kann eigenständig verschiedene Handlungsmöglichkeiten identifizieren (was ich lokal mache/nicht mache, hat globale Auswirkungen) (ebd.).

Politische Bildung für mündige Bürger/innen

Moderne weltgesellschaftliche Bildungsansätze wie Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), Global Citizenship Education und Globales Lernen zielen darauf ab, Menschen auf ihrem Weg hin zu mündigen Bürger/innen der Weltgesellschaft zu unterstützen und geben didaktische Hinweise, wie dies umzusetzen ist. Die Ansätze nehmen unterschiedlich stark Bezug auf das Konzept der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit als normative Setzung, hervorzuheben ist hier der Ansatz der BNE.  Alle drei Ansätze  können als Teil der politischen Erwachsenenbildung gesehen werden. Aus den theoretischen und empirischen Erkenntnissen zu gelingender politischer Bildung mit Erwachsenen lassen sich auch Gelingensbedingungen für weltgesellschaftliche Bildungsarbeit mit Erwachsenen ableiten.


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