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MOOCs: Sieht so das Lernen der Zukunft aus?

Reihen von Holzklappsesseln  vor einer Tafel und einem Rednerpult

Herkömmlicher Hörsaal - bald ersetzt durch MOOCs? (Bild: Wokandapix/pixabay.com, CC 0)

Jede und jeder kann gratis, von überall aus und zu beliebiger Zeit bei und mit den Besten der Welt studieren – mit dieser Verheißung sind die Massiven Offenen Online-Kurse (MOOCs) um das Jahr 2012 herum angetreten. Seitdem haben Erfolge und Pleiten deutlich gemacht, was von dieser Verheißung in der beruflichen Wirklichkeit bleibt. Jörn Loviscach ist Professor für Ingenieurmathematik und technische Informatik an der FH Bielefeld.  Seine Forschungsinteressen liegen in der Mensch-Computer-Interaktion, in Techniken der Medienproduktion und in der computerunterstützten Lehre. Er ist Autor von 3.000 YouTube-Videos, hat 2012 einen der ersten MOOCs von Udacity geleitet und seitdem vier weitere MOOCs auf mooin veröffentlicht. Er schreibt hier über das Lernen mit MOOCs.

Ein Tsunami, der durch die Hochschullandschaft fegen wird – mit diesem Begriff hat John L. Hennessy, seinerzeit der Präsident der Stanford-Universität, im Jahr 2012 genau getroffen, was bei ihm im Silicon Valley vor den Toren von San Francisco praktisch jeder erwartet hat: „Massive offene Online-Kurse“ (MOOCs, gesprochen „muhks“) werden das für träge und überteuert gehaltenes Bildungssystem umwälzen.

Elektronische Kurse für die Welt

Wer schon eine Weiterbildung im Web belegt hat, hat eine gute Vorstellung davon, wie ein MOOC aus der Sicht der/des Lernenden aussieht: Die Hauptbestandteile sind Folienvorträge, Testaufgaben, Diskussionsforen, vielleicht auch Diskussionen per Videokonferenz und Abschlussprüfungen – alles per Internet. Liegt der Schwerpunkt eher auf vorbereiteten Materialien, spricht man von einem xMOOC. Liegt der Schwerpunkt eher auf Diskussion und gemeinsamer Arbeit, handelt es sich um einen cMOOC. Das „x“ stammt dabei von den „extension classes“, den Abendkursen der Universitäten; das „c“ stammt vom  ersten derartigen MOOC zum „konnektivistischen Lernen“, Lernen durch Vernetzung.

Der Begriff „MOOC“ ist zwar nicht scharf umrissen, aber einige Kriterien lassen sich festmachen: Es geht um einen Kurs, also um mehr als einen Vortrag, aber weniger als einen Studiengang, eher etwas in der Art einer Vorlesung über ein Semester. „Online“ soll bedeuten, dass der Kurs ganz oder zu wesentlichen Teilen im Internet stattfindet. „Massiv“ soll die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sein. Es hat bereits Kurse mit mehreren hunderttausend Anmeldungen gegeben. Auch bei einigen hundert Anmeldungen sprechen manche schon von „massiv“; dann wäre eine klassische Anfangsvorlesung in Betriebswirtschaftslehre allerdings auch massiv.

Noch diffuser ist das Wort „offen“, für welches das erste „O“ in der Abkürzung „MOOC“ steht. Der Kurs ist „offen“ für alle, die sich anmelden wollen, unabhängig von Alter, Bildungsabschluss und Herkunft (wenn nicht ein Embargo greift, wie das der USA gegen Kuba und Iran). Wenn es um MOOCs geht, versteht man unter „offen“ üblicherweise auch „gratis“ – zumindest in der Grundversion (mehr zu den Details im Folgenden). Das „offen“ von MOOCs wird aber meist nicht als „offen“ im Sinne von „offenen Lehr-/Lernmaterialien“ (OER) verstanden: Etwa dürfen die Videos und Quizze eines MOOCs  typischerweise nur persönlich genutzt und nicht weiterverbreitet werden.

Die Umsetzung des „jederzeit“ ist auf zwei Arten eingeschränkt: Erstens verschwinden lizenzrechtlich geschützte MOOCs oft wieder aus dem Netz. Zweitens laufen die meisten MOOCs getaktet ab, mit vorgegebenem Start- und Enddatum. Oft werden die Materialien erst im Laufe des Kurses freigeschaltet. Dies schmälert die Zeitunabhängigkeit, hilft aber gegen Aufschieberitis, sorgt in den Diskussionsforen und bei anderen gemeinsamen Arbeiten für Fokussierung und bringt eine punktuell höhere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Viele Kurse bleiben nach dem Abschluss zunächst zur freien Bearbeitung offen. Bei einigen sehr populären, nicht getakteten Kursen wird auch mit automatischen Kohorten experimentiert: Jede(r) Teilnehmer(in) wird einer Gruppe von anderen zugeteilt, die zur selben Zeit angefangen haben.

Mittler der Bildung

Sofort in den Anfangstagen der MOOCs ist klargeworden: Die Kursmaterialien zu produzieren und zig- bis hunderttausende an Teilnehmenden zu erreichen und zu managen verlangt organisatorische und technische Unterstützung sowie massives Marketing. So ist die Institution oder das Geschäftsmodell „MOOC-Plattform“ entstanden – aus dem Dunstkreis der Stanford-Universität die Plattformen Coursera und Udacity, aus dem Dunstkreis des MIT und der Harvard-Universität die Plattform edX.

Im deutschsprachigen Raum sind mooin (aus dem Umfeld der FH Lübeck), iMooX (von TU und Universität Graz) und openHPI (vom Hasso-Plattner-Institut Potsdam) derzeit am sichtbarsten. Die hochschulunabhängige Plattform iversity hat nach ihrer Insolvenz 2016 eine Ausrichtung auf Angebote für Unternehmen angekündigt. Die Hamburg Open Online University (HOOU) zeigt derzeit als „Beta-Version“ noch eher kleinteilige Angebote.

Im europäischen Rahmen sind die Plattform „European Multiple MOOC Aggregator“ (EMMA) zu nennen, aber vor allem die Aktivitäten des europäischen Fernhochschulverbands EADTU: OpenupEd als übergreifendes Sammelbecken von Angeboten und das European MOOC Consortium als konkreter Zusammenschluss von Plattformen.

Suche nach einem Markt

Die Gratis-Kurse für Hundertausende von Menschen haben zwar zu Beginn für Medienrummel gesorgt, aber den kommerziellen MOOC-Plattformen wie Coursera und Udacity noch keine Einnahmen beschert. Für Coursera, das hauptsächlich von Hochschulen auf deren Kosten produzierte Kurse anbietet, wurde das nicht so schnell ein Problem wie für Udacity mit seinen meist selbst produzierten Kursen. Und so wurden diverse Geschäftsmodelle ausprobiert und oft auch wieder verworfen.

Ein erster Gedanke bestand darin, die besten Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Unternehmen zu vermitteln – gegen Gebühr von den Unternehmen. Dieses scheint im Laufe der Zeit im Sande verlaufen zu sein. Dauerhaft gehalten hat sich die zweite Idee: Den reinen Kurs kann man gratis besuchen, aber ein elektronisch erworbenes Zertifikat kostet Geld. Inzwischen findet sich dies auch als Abo-Modell und mit tutorieller (Fern-)Betreuung und von Menschen nachgesehenen Aufgaben.

Udacity war der Vorreiter darin, nicht nur Hochschuldozenten, sondern auch Unternehmen wie Google oder Autodesk Kurse veranstalten zu lassen. Coursera hat hier nachgezogen, mit anderen Kursen, ebenfalls von Google. Selbst auf der formal „nichtkommerziellen“ Plattform edX finden sich inzwischen nicht nur die Elite-Universitäten der Welt, sondern auch Amazon Web Services und Microsoft. In Deutschland betreibt das Unternehmen SAP (dessen Mitgründer und derzeitiger Aufsichtsratsvorsitzender der Namensgeber und Initiator des Hasso-Plattner-Instituts ist), mit openSAP einen Klon der Plattform openHPI – mit Kursen zur Entwicklung mit der SAP-Unternehmenssoftware.

Die MOOCs dienen als kostenlose Angebote auch dazu, Menschen zu kostenpflichtigen Kursen auf derselben Plattform zu leiten, so nicht nur bei den US-Anbietern, sondern auch beim mooin-Mutterunternehmen oncampus. Die Plattform Udemy (nicht zu verwechseln mit Udacity) hat sich darauf spezialisiert, jede und jeden zum Dozenten eines selbstgestalteten Kurses zu machen, der dann für einen Preis von zum Beispiel 20  Euro vermarktet wird oder auch gratis zugänglich sein kann.

Weiterlesen: Sieht so das Lernen der Zukunft aus?   Teil 2


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