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Wie kann man Kompetenzen erwerben? Die Zukunft des Lernens Folge 4

Hände an einem Werkstück auf einer Töpferscheibe

Kompetenzen basieren, anders als Wissen, auf eigenen Erfahrungen. Deshalb können Kompetenzen nicht vermittelt werden, sondern nur selbstorganisiert – in neuartigen, offenen und realen Problemsituationen kreativ handelnd – erworben werden. Werner Sauter, Professor für Bankwirtschaft, Bildungsconsultant und wissenschaftlicher Leiter der Blended Solutions GmbH, beschreibt in diesem vierten Teil  der achtteiligen Blogreihe für wb-web, wie der Erwerb von Kompetenzen gestaltet werden kann. 

Die Ziele des Kompetenzaufbaus werden durch die Lernenden deshalb selbst formuliert. Die erworbenen Kompetenzen sind immer eng verknüpft mit Werten, die durch die Bewertung von Erfahrungen, die in realen Herausforderungen gemacht wurden, verinnerlicht werden. Es sind erst diese Werte, die kompetentes Handeln in unsicheren Situationen ermöglichen. Sie „überbrücken“ oder ersetzen fehlendes Wissen und schließen die Lücke zwischen Wissen im engeren Sinne sowie Handeln.

Niemand kann und wird behaupten, dass es Kompetenzen ohne Wissen gibt. Denn je mehr Wissen man in einer Kreativität erfordernden Situation mobilisieren kann, desto kompetenter kann man handeln. Der Knackpunkt ist hier die Mobilisierung des Wissens im Bedarfsfall. Gelingt sie nicht, ist die ganze Wissensfülle umsonst. Gelingt sie, handeln wir kompetent.

Grundlegende Lerntheorien zum Thema Kompetenzerwerb

Um den Erwerb von Kompetenzen zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die gängigen Lerntheorien. Denn jede von ihnen leistet einen Beitrag dazu, die an sich unsichtbaren Lernprozesse zu verstehen. Der Behaviorismus lenkt den Blick die Konsequenzen von Lernen für die Ausprägung von Verhalten, das ohne bewusste Zielsetzung oder Reflexion erfolgt. Der Kognitivismus betont demgegenüber die aktive und reflektierende Rolle des Lernenden beim Erwerb von Handlungsmustern. Handlungen werden dabei als zielgerichtetes und bewusstes Agieren verstanden. Der Konstruktivismus erweitert die beiden vorangegangenen Modelle um die Bedeutung des Kontextes für das Lernen und setzt den Fokus auf Lernen als Prozess selbstorganisierter Problemlösungen. Der Konnektivismus setzt sich von den vorangegangenen drei Ansätzen ab, indem er betont, dass der Fähigkeit, sich über Netzwerke schnell aktuelles Wissen anzueignen und in kollaborativen Prozessen mit Lernpartnern weiterzuentwickeln, eine höhere Bedeutung zukommt als dem dauerhaften Wissensvorrat, über den eine Person verfügt.

In der Zusammenschau nehmen Behaviorismus und Kognitivismus eine Perspektive auf Lernprozesse ein, die vor allem von deren Fremdsteuerung ausgeht und formelle Lernziele (Curricula) anstrebt, während Konstruktivismus und Konnektivismus die selbstorganisierte Kompetenzentwicklung innerhalb eines ermöglichenden Rahmens hervorheben. Dabei werden die Potenziale digitaler Technologien für die Gestaltung von personalisierten Lernprozessen von den beiden letztgenannten Theorien konsequent mitgedacht.

Behaviorismus: Verhalten trainieren

Die Lerntheorie des Behaviorismus geht von einem Lehrmodell aus, nach dem Lehrende die Lernenden durch Vermittlung von Wissen und bestimmten Konsequenzen zu einem gewünschten Verhalten bringen. Der Ansatz des Behaviorismus gründet im Sinne eines Reiz-Reaktionsmodells auf der Annahme, dass das Verhalten der Menschen vor allem durch die Konsequenzen bestimmt wird, die ihr Verhalten erzeugt. Positive Konsequenzen wirken verstärkend, negative führen zu einer Reduktion eines zuvor gelernten Verhaltens. Die Rolle des Lehrenden ist eine steuernde: Er initiiert Verhalten durch einen bestimmten Input und verstärkt gewünschtes Verhalten, z. B. durch Belohnungen. Der behavioristische Ansatz ist jedoch kritisch zu sehen, weil er die Motivation und Emotion des einzelnen Lernenden nicht beachtet. Das Modell orientiert sich nur am Ergebnis und erklärt nicht, wie neues Verhalten entsteht. Deshalb wird dieser Ansatz in innovativen Lernsystemen mit dem Ziel der Kompetenzentwicklung nur im Bereich des Wissensaufbaus eine begrenzte Rolle spielen können.

Kognitivismus: Handlungsweisen entwickeln

Der Kognitivismus beschreibt Lernen als einen Prozess des aktiven Wahrnehmens, Erfahrens und Erlebens. Lernen erfolgt in diesem Modell durch Handeln, Einsicht und Nachdenken. Dem Kognitivismus zufolge wird neues Wissen auf der Basis bestehender Wissensstrukturen gebildet, indem das Gehirn, ähnlich wie ein Computer, Wissen aufnimmt und verarbeitet. Lernen erfolgt dabei durch Einsicht. Der Lernende nimmt im Lernprozess eine aktive Rolle ein, indem er vorgegebene Aufgaben löst. Der Lehrende agiert dabei als Trainer: Er initiiert, steuert und flankiert die Lernprozesse, stellt aufbereitetes Lernmaterial zur Verfügung und gibt seinen Lernenden laufend Feedback. Bei Bedarf greift er aktiv in die Lernprozesse ein und unterstützt die Lernenden beratend. Diese entwickeln ihre eigene Problemlösungsstrategie, wählen passende Methoden aus, wenden diese zielgerichtet an, bewerten ihre Ergebnisse und reflektieren über ihren Lernprozess. Im Gegensatz zum Behaviorismus ist Handeln das Ziel – als eine Form des Agierens, die zielgerichtet und bewusst ist. Dies setzt ein reflexives Bewusstsein des Lernenden voraus. Diese Lerntheorie kann damit bei der Sicherung der notwendigen Voraussetzungen für den Kompetenzaufbau, insbesondere im Rahmen der Qualifizierung, sinnvoll sein. Die Kompetenzentwicklung kann jedoch nur in realen Herausforderungen erfolgen, sodass nur formale Lernarrangements nicht ausreichend sind.

Konstruktivismus: Erfahrungswissen verarbeiten

Aus Sicht des Konstruktivismus ist Lernen ein aktiver, situativer und sozialer Prozess, bei dem Wissen und Kompetenzen durch Erfahrungen selbstorganisiert aufgebaut werden. Handeln ist dabei nicht das Ergebnis von Entscheidungsprozessen eines isolierten Individuums, sondern eingebunden in einen sozial-kulturellen Kontext, in dem Erfahrungen gemacht werden. Zudem ist Handeln in bestimmte Handlungsmuster eingebettet. Die Bedeutungen, die einem Sachverhalt zugemessen werden, sind so das Ergebnis der Interaktion zwischen Menschen, ihrer Umwelt und den Artefakten, die im Austausch mit der Umwelt entstehen. Deshalb wird Wissen in jeder Handlungssituation neu konstruiert, sodass die Handlungsweisen der Lernenden durch die jeweilige Situation bestimmt werden.

Nach dem Ansatz des Konstruktivismus kann nur ein natürliches Lernen im Arbeitsprozess durch die konstruktive Reflexion eigener Erfahrungen zur Kompetenzentwicklung führen. Die zentrale Frage im Lernmodell des Konstruktivismus lautet daher, wie die Lernenden zu einer selbstorganisierten Definition von Zielen und zur Lösung von Herausforderungen in der Praxis geführt werden können. Damit bildet der Konstruktivismus die Grundlage für das pädagogische Handlungsmodell der Ermöglichungsdidaktik (vgl. Arnold 2017). Diese geht davon aus, dass die Art, wie ein Lernender den Input aufnimmt und interpretiert, wie er verarbeitet, was er wahrgenommen hat und wie viel er davon später, wenn er sein Wissen anwenden möchte, überhaupt noch zur Verfügung hat, nicht geplant werden kann. Daher fordert die Ermöglichungsdidaktik, dass sich Planer von Lernangeboten nicht mehr auf die detaillierte Planung des Lernprozesses fixieren, sondern die selbstorganisierte Aneignung von Wissen und Kompetenzen in personalisierten Lernumgebungen fördern. Die Rolle der Lehrenden ist dabei die eines Lernbegleiters, der Bedingungen für selbstorganisiertes Lernen schafft und damit Prozesse des selbsttätigen und selbstständigen Wissens- und Kompetenzaufbaus ermöglicht.

Konstruktivistische Lernarrangements ermöglichen selbstorganisierten Kompetenzaufbau im Rahmen von realen Herausforderungen. Dabei findet Lernen entlang personalisierter, vereinbarter Ziele statt und ist zum großen Teil selbstorganisiert. Die Lernenden sind selbstständig aktiv und werden von den Lernbegleitern dabei gecoacht.

Konnektivismus: Lernen im Netz(-werk)

Der Ansatz des Konnektivismus geht davon aus, dass Lernende ihre Lernprozesse verbessern, wenn sie in Netzwerke eingebunden werden. Nach dem kanadischen Pädagogen George Siemens (2005) werden Behaviorismus, aber auch Kognitivismus und Konstruktivismus den Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft nicht mehr vollständig gerecht. Denn alle drei Ansätze basieren auf der Annahme, dass Lernen entweder durch äußere Einflüsse oder durch eigene Erfahrungen erfolgt. Mit der sinkenden Halbwertzeit des Wissens hat sich aber die Art zu kommunizieren und damit auch die Art zu lernen grundlegend verändert. Einen großen Teil unseres Wissens bauen wir aufgrund von Informationen und Erfahrungswissen dritter Personen, von Organisationen oder über Datenbanken auf. Lernen ist damit ein Prozess, der nicht nur von der eigenen Person, sondern auch stark von ihrem Umfeld abhängig ist. Nur wer bedarfsgerechte Netzwerke aufbaut, kann sein Wissen damit immer aktuell und problemgerecht nachhalten. Die Fähigkeiten, aktuelles Wissen durch Austausch mit anderen zu erlangen und Herausforderungen gemeinsam zu meistern, werden aus Sicht des Konnektivismus wichtiger als das persönliche Wissen einer Person. Dem Lernbegleiter kommt in diesem Zusammenhang die Rolle eines Mentors zu, der den Lernenden unterstützt, Erfahrungswissen durch Austausch und kollaboratives Arbeiten aufzubauen. Der pragmatische Lernansatz des Konnektivismus bildet damit die wesentliche Grundlage für die Kompetenzentwicklung in Verbindung mit Social Learning, also kollaborativem Arbeiten und Lernen im Netz.

Grafik zu gängigen Lerntheorien

Lerntheorien im Überblick. (Bild: Bertelsmann Stiftung)

CC BY-SA by Werner Sauter für Blog Aus- und Weiterbildung

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