Checkliste

Alphabetisierungsbedarf erkennen und unterscheiden

Welche Arten von Alphabetisierungsbedarf  kann man unterscheiden und wie kann man mit Fragen dies herausfinden?

 

Arten von Alphabetisierungsbedarf

Wenn bei geflüchteten, erwachsenen Menschen Alphabetisierungsbedarf besteht, ist zwischen drei Sachverhalten zu unterscheiden:

  1. Die Person kann weder lesen noch schreiben, es ist eine “ Erstalphabetisierung“ notwendig. In den allermeisten Fällen liegt das daran, dass diese Person keine Schule besucht hat und daher keine „Erstschrift“ erwerben konnte.
  2. Die Person kann in ihrer Erstsprache lesen und schreiben, beherrscht aber die Lateinschrift nicht. Es handelt sich um „Zweitschrifterwerb“, man spricht von  „Zweitschrift Lernenden“. Bevor man hier eine rasche Gruppenzuteilung macht und konkrete Lernangebote macht, sollt man sichergehen, dass die Person nicht eventuell der folgenden dritten Gruppe zuzuordnen ist.
  3. Die Person kann ein bisschen lesen und schreiben, aber nicht ausreichend genug, um die Anforderungen von Alltag und Beruf zu erfüllen: Man nennt das „funktionalen Analphabetismus“. Dieses Phänomen gibt es in allen Sprachen, in Deutsch genauso wie in allen Migrationssprachen. Es handelt sich um Menschen, die zwar alle Buchstaben ihrer Landessprache kennen, die ihren eigenen Namen schreiben können, die aber den Sinn von Texten nicht erfassen können. Sie verfügen nicht in ausreichendem Maße über die in einem Land geforderten Schriftkenntnisse. Diese Definition ist allerdings ein dynamischer Begriff: Personen, die etwa in Gambia nicht als funktionale Analphabeten oder Analphabetinnen gelten würden, können im deutschsprachigen Raum in diese Gruppe fallen, weil sie den Anforderungen der schriftzentrierten mitteleuropäischen Gesellschaft beispielsweise bei Behördengängen nicht entsprechen oder nicht in der Lage sind, sich im Jobcenter selbständig über Computer eine Stelle zu suchen. Gut gemeinte Lernangebote können für diese Personengruppe eine große Überforderung darstellen und zu Frustration sowohl der Lehrenden als auch Lernenden führen.

Leitfragen zum Erkennen von Analphabetismus

Es ist nicht einfach, die genaue Ausprägung von Analphabetismus von Personen, die nicht Deutsch sprechen, festzustellen. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade dieser Personenkreis besonders sensibel auf Tests und Prüfungen reagiert. Will man beim Kennenlernen eine angenehme, unbelastete Lernatmosphäre schaffen und aus diesem Grund auf Einstufungstests verzichten, kann man z.B. folgende Fragen stellen und daraus Rückschlüsse ziehen:

  • Wie lange waren Sie in der Schule?
  • Wo waren Sie in der Schule? Waren Sie in unterschiedlichen Schulen?
  • Gibt es Lücken in der Schulbiographie?
  • In welcher Art von Schule waren Sie?
  • Was lesen Sie (in Ihrer Erstschrift)? Bücher, Zeitschriften oder kaum etwas?
  • In welchen Situationen schreiben Sie?
  • Verwenden Sie Handys oder Computer? Wofür? Schreiben Sie darauf?

Lateinische Schrift

Um herauszufinden, inwieweit die Person bereits lateinische Schrift lesen kann, kann man Texte und Wörter auf Kärtchen vorbereiten und die Person bitten, diese zu lesen:

  • kurzer Text
  • Einzelwort – in Druckbuchstaben
  • Einzelwort – in Großbuchstaben
  • einzelne Buchstaben: Großbuchstaben
  • einzelne Buchstaben: Kleinbuchstaben 
     

Vorgehen bei der Sprachbegleitung von Einzelpersonen
 

In der individuellen Sprachbegleitung kann man die Phase des persönlichen Kennenlernens und miteinander Arbeitens nutzen, um im Prozess herauszufinden, inwieweit die Person alphabetisiert ist. Viel erkennt man dabei durch Beobachtung: 

  • Bei der Sprachbegleitung weitgehend auf Schriftliches verzichten, also nichts zur Erklärung aufschreiben, aber Schreibunterlagen zur Verfügung stellen. Dabei beobachten, ob jemand sich etwas in seiner Erstschrift notiert. Menschen, die Schrift gewohnt sind, machen das normalerweise.
  • Ein weiterer Indikator ist, ob die Person ausschließlich in ihrer Erstschrift Dinge notiert oder auch in Lateinschrift.
  • Immer mehr Lateinschriftliches anbieten z.B. Kärtchen, erste Texte und weiter beobachten, ob die Person das lesen kann oder nicht.
  • Kann die Erstschrift gelesen werden?
  • Kann Lateinschrift gelesen werden?
  • Kann Lateinschrift geschrieben werden?
  • Wird sowohl die Groß- als auch die Kleinschreibung beherrscht?
  • Sehen Sie sich das Schriftbild der Person an: Werden Konventionen eingehalten? z.B. Werden in der Mitte des Wortes Großbuchstaben verwendet?
  • Ist der Person bekannt, dass es in der Lateinschrift eine Grundlinie gibt und einige Buchstaben mit  Ober- und Unterlängen geschrieben werden?
  • Kann der eigene Name geschrieben und erkannt werden, wenn er in Lateinschrift vorgelegt wird?

Abhängig von den Ergebnissen der Beobachtung sollte man in Folge ein geeignetes Lehrwerk wählen  und – nach Möglichkeit – Untergruppen je nach Alphabetisierungsbedarf bilden.

 

CC BY SA 3.0 DE by Angelika Hrubesch und Angelika Güttl-Strahlhofer für wb-web.de

 

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