Handlungsanleitung

Niveaudifferenzierung

Mit Niveaudifferenzierung können Kursleitende unterschiedliches Vorwissen und methodische Vorlieben respektieren. Niveaudifferenzierungen nutzen Lehrende dann, wenn sie ihre Teilnehmenden einigermaßen gut einschätzen können. Es handelt sich um Differenzierungen, die im gemeinsamen Kursraum stattfinden. 

Man kann unterscheiden zwischen

  • Zusatzaufgaben für leistungsstarke Lernende
  • Aufgaben/Übungen mit unterschiedlichem Anspruch und unterschiedlichen methodischen Vorlieben (qualitativ und quantitativ)

Während die erste Variante darauf basiert, dass alle Teilnehmenden ein gemeinsames Kursziel erreichen sollen, ist die zweite Variante besonders geeignet, wenn kein gemeinsames Kursziel erreicht werden muss.

Variante 1 

Hier werden Zusatzaufgaben für leistungsstarke Lernende angeboten. Alle Lernenden sind in einem Raum. Die einen arbeiten am „Pflicht-Lernstoff“, Fundamentum genannt, die anderen an zusätzlichem Lernstoff, dem sogenannten Additivum. Das Fundamentum umfasst die Ziele und Inhalte, die alle Lernenden der Gruppe er- und bearbeiten sollen. Das Additivum meint zusätzliche Ziele und Inhalte für einzelne stärkere Gruppenmitglieder. Damit dies funktionieren kann, hat die Lehrkraft qualitativ und quantitativ unterschiedliche Aufgaben vorbereitet. 

Variante 2

Hier werden Aufgaben oder Übungen mit unterschiedlichem Anspruch und für unterschiedliche methodische Vorlieben angeboten.  Bei dieser Variante gehen Sie prinzipiell davon aus, dass es in breitem Rahmen Unterschiede im Lernleistungsverhalten der Teilnehmenden gibt. Sie bereiten – je nach Gruppengröße – Aufgaben für mehrere unterschiedliche Niveaus vor. Oder aber Sie wissen, dass die Teilnehmenden unterschiedliche methodische Angebote zur Bearbeitung einer Aufgabe schätzen und ermöglichen dies.

Einsatzmöglichkeiten

Die Zusatzangebote für Leistungsstärkere sind eine gute Möglichkeit, Unterschiede im Lerntempo und im Vorwissen um den Lerngegenstand zu berücksichtigen. Über- und Unterforderung können ausbalanciert werden. Die Differenzierungsform ist geeignet bei besonders hohem Niveaugefälle zu einem Lerngegenstand. Damit soll vermieden werden, dass die einen unterfordert sind, weil sie schneller mit einer Aufgabe fertig sind und sich andere durch die Schnelleren unter Druck gesetzt fühlen. Das klingt nun nach einer Einteilung in starke und schwache Lernende. Die Empirie lehrt uns: Je nach Lerngegenstand wechseln die starken und schnellen und die schwachen und langsamen Teilnehmenden. Aber: Es ist eine Aufgabe der Kursleitung, bei dieser Differenzierungsform darauf zu achten, dass Rollenverfestigungen und Stigmatisierung vermieden werden. Der zeitliche Aufwand ist überschaubar, denn es geht darum, unterschiedlich viele oder unterschiedlich schwere Aufgabenstellungen vorzuhalten oder aber auch Vertiefungsmöglichkeiten zu einem Lernthema anzubieten. Das Zusatzaufgabenmodell funktioniert auch in größeren Lerngruppen.

Die vom Niveau und der methodischen Präsentation unterschiedlichen Aufgaben eignen sich insbesondere dann, wenn die Lernenden kein festes Lernziel gemeinsam erreichen müssen, sich also weder „vergleichen“ noch „messen“ müssen. Differente Übungsmöglichkeiten vorzuhalten ist eine gute Möglichkeit, die Lernbeweglichkeit der Teilnehmenden zu erhöhen und ggf. auch auf die individuellen Tagesformen der Lernenden einzugehen.

 Zielgruppe

Prinzipiell können beide Differenzierungsformen in ganz verschiedenen Zielgruppen eingesetzt werden. Bewährt haben sich beide Formen bspw. in der Bildungsarbeit „Deutsch als Zweitsprache“ und auch in der Alphabetisierungsarbeit und in Angeboten der Nachqualifizierung.

Die Differenzierung durch Zusatzaufgaben für Leistungsstarke ist besonders dort geeignet, wo man als Kursleitender davon ausgehen kann, dass bei den zu bearbeitenden Themen kein verfestigtes Wissensgefälle in der Gruppe herrscht. In der Arbeitsorientierten Grundbildung bspw. wird an echten Themen aus dem Arbeitsalltag gearbeitet. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, wie die Wissensqualitäten und auch das Tempo in der Bearbeitung der Alltagsthemen zwischen den Lernenden abwechseln.

Die Aufgaben mit unterschiedlichem Anspruch eignen sich vor allem in Bildungskontexten, wo eine breite Streuung der Lernleistung konstatiert werden muss. Sie ermöglichen jedem Teilnehmenden, alleine oder zusammen mit anderen (Tandem oder Kleingruppe), erfolgreiche Lernerfahrungen zu machen – nicht zu unterschätzen bei Lernenden mit geringem Zutrauen in ihre Lernleistungsfähigkeit.

Die Aufgaben methodisch different anzubieten eignet sich insbesondere für Gruppen, bei denen es wichtig ist, an den Lernkompetenzen zu arbeiten. Aufgabe der Lehrkraft ist dabei, zum einen methodischen Neigungen von individuellen Lernenden nachzukommen, zum anderen sie aber auch zu ermutigen, immer wieder neue Methoden auszuprobieren.

Durchführung

Variante 1: Die Lehrkraft hat für die beim aktuellen Thema leistungsstarken Teilnehmenden, die mit den Aufgaben und Übungseinheiten absehbar schneller fertig sein werden oder bereits fertig sind, zusätzliche Lernangebote mitgebracht. Während ein Teil der Gruppe an den Basisaufgaben arbeitet, erhalten die anderen, entweder weil sie mit der Basisaufgabe fertig sind oder überhaupt damit unterfordert wären, ein Additivum.

Dies kann sein:

  • ein weiteres Set von Übungen zum Thema. Die Teilnehmenden bearbeiten dann quantitativ mehr Übungsaufgaben als die anderen;
  • ein Übungsset schwierigerer Übungen. Die Teilnehmenden bearbeiten dann qualitativ anspruchsvollere Aufgaben;
  • ein Lerntext zur Vertiefung eines Themas. Die Teilnehmenden erhalten und bearbeiten weiterführende Informationen zu einem Lernthema, z.B. einen Vertiefungstext, einen Transfertext, ein Fallbeispiel;
  • eine offene Fragestellung zum Thema. Die Teilnehmenden bearbeiten eine Verarbeitungs- oder Transferübung oder eine Aufgabe, mit der sie das Gelernte auf eine Situation anwenden.

Routinierte Lehrende halten für Ihre Kurse also Basis-Lernmaterial (Fundamentum) und in Reserve Zusatzmaterial (Additivum) vor, um weitergehende Lernziele zu verfolgen oder ergänzende Inhalte bearbeiten zu lassen.

Variante: Dabei kann auch überlegt werden, dass die Stärkeren den Auftrag erhalten, Ergebnisse oder Erkenntnisse aus ihren Zusatzarbeiten allen anderen zu präsentieren.

Variante 2: Hier gibt es eine Fülle von Möglichkeiten. Zur Anregung Ihrer Phantasie finden Sie hier eine kleine Auswahl.

  • Die Lehrkraft hat einen Text zur Bearbeitung mitgebracht und mehrere Arbeitsblätter mit unterschiedlich einfachen bzw. schweren Bearbeitungsfragen vorbereitet. Sie stellt die unterschiedlichen Arbeitsblätter vor, die Teilnehmenden entscheiden selbst, welches Arbeitsblatt sie wählen, ggf. steuert die Lehrkraft die Zuteilung mit.
  • Ergänzung zur methodischen Varianz: Die Teilnehmenden können auch entscheiden, in welcher Sozialform sie arbeiten wollen. Einige wollen ggf. Einzelarbeit, andere Tandem oder Kleingruppe.  
  • Lückentexte sind gleichfalls geeignet, unterschiedliche Niveaus vorzubereiten. Die Regel ist einfach: Weniger Lücken machen die Bearbeitung leichter, größere und mehr Lücken machen ihn schwerer. Die einfachste Variante kann auch vorhalten, dass die fehlenden (Lösungs-)Wörter mit an die Hand gegeben werden und an richtiger Stelle einzufügen sind.
  • Eine Aufgabenstellung wird in bewusst niveaugemischten Kleingruppen bearbeitet. Es sitzen dafür sehr leistungsstarke, gute, mittlere, schnellere, langsame Teilnehmende an einem Tisch. Die Aufgabe: Jeder kommt mit. Ein Tischgruppensprecher hat den Auftrag, darauf zu achten, dass dies möglich wird.
  • Die Teilnehmenden erhalten einen Lerntext verbunden mit dem Auftrag, Fragen zum Lerntext zu entwickeln oder sich Gedanken über verschiedene Formen der Überprüfung zu machen. Die Ideen (Fragen oder andere Formen der Überprüfung) werden gesammelt und zur Bearbeitung wieder in der Gruppe verteilt. Die Lehrkraft kann anregen: richtig-falsch-Antworten zu Fragen vorbereiten; ein Fragenset, bei dem jeder selbst wählen kann, was er bearbeiten möchte; ein Kreuzworträtsel; einen Lückentext u.Ä.
  • Methode Wörtertopf: Die Lehrkraft hat Schlüsselbegriffe oder Fragen zu einem Unterrichtsgegenstand auf Metaplankarten geschrieben (immer einen Begriff/eine Frage pro Karte). Die Karten werden auf dem Tisch oder Boden verteilt – wie bei „Memory“ die beschriebene Seite verdeckt. Ein Teilnehmer beginnt, nimmt eine Karte, dreht sie um und liest laut die Frage oder den Begriff vor. Er erläutert selbst, worum es sich handelt, darf die Karte aber auch weitergeben oder fragen, wer etwas dazu sagen möchte.

Voraussetzungen und Rahmenbedingungen 

Es liegt auf der Hand, beide Varianten sind vorbereitungsintensiv. Hat man zu seinen Themen jedoch einmal ein Vorbereitungsset, trägt dies für mehrere Kurse. Man muss also nicht immer alles neu vorbereiten.

Alle vorgestellten Methoden können im gemeinsamen Kursraum umgesetzt werden, der ggf. umgestaltet werden sollte, passend zu den Sozialformen. Die Erfahrung zeigt hier, dass das situative Umstellen von Sitzordnungen gut zusammen mit den Lernenden gemacht werden kann.

Es braucht ggf. Metaplanmaterial. Sehr bewährt hat es sich, wenn der Kursraum diverse Schreibmaterialien vorhält oder alternativ die Kursleitung über einen Koffer verfügt, der mit verschiedenen Stiften, Metaplankarten, Scheren, Klebepunkten, Kleber usf. bestückt ist. Dies ermöglicht den Lernenden, z.B. wenn sie selbst Aufgaben und Übungen entwickeln sollen, eigenständig methodische Phantasie zu entwickeln und Beiträge zu lebendigen Lernangeboten zu leisten.

Pro & Contra 

Differenzierungen sind gute Möglichkeiten, nicht nur heterogene Voraussetzungen von Lernenden zu berücksichtigen, sondern Lernen zu einer lebendigen Sache werden zu lassen. Auch kann Differenzierung gut der Erhöhung der Lernbeweglichkeit dienen.

Herausfordernd bei Niveaudifferenzierungen kann sein - sei es in der Variante der Zusatzangebote für Leistungsstarke oder in den breiteren Angebotsdifferenzierungen - Rollenverfestigungen entgegenzuwirken bzw. mit dem Messen und Vergleichen der Teilnehmenden untereinander gut umzugehen. Die Erfahrung zeigt: Da braucht es immer wieder einmal die Metakommunikation, also eine Kommunikation über die Kommunikation, in der Gruppe.

 

CC BY SA 3.0 by Rosemarie Klein und Gerhard Reutter für wb-web



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