Handlungsanleitung

Rollenspiel „Albatros“: Wie läuft die Auswertung ab?

  1. Die Teilnehmer werden zuerst gefragt, wie sie die Kultur der Albatrosianer beschreiben würden! Betonen Sie hierbei bitte, dass es beim Beantworten der Frage keine Tabus geben soll. Die Antworten werden von Ihnen – unkommentiert – auf ein Flipchartpapier geschrieben!  Hier werden meist fast ausschließlich negative Bewertungen wie ernst, unfreundlich, frauenverachtend, … genannt. 
  2. Sollten einige Teilnehmer im Rollenspiel signalisiert haben, dass sie bestimmte Handlungen nicht ausführen wollen, sollte diese Situation durch Sie thematisiert werden. Fragen könnten beispielsweise sein: Warum haben Sie so reagiert? Wie wurde die Ablehnung kommuniziert? Welche Möglichkeiten gibt es, um Abneigung wertschätzend zu vermitteln?
  3. Im Anschluss werden die „Frauen“ gefragt, wie sie sich in Ihrer Rolle gefühlt haben. Die Antworten werden – unkommentiert – auf ein zweites Flipchartpapier geschrieben! Als Antwort kommt hier oft, dass sich die „Frauen“ erniedrigt und minderwertig gefühlt haben.
  4. Danach werden die „Männer“ gefragt, wie sie sich in der Rolle des Mannes gefühlt haben. Die Antworten werden – ebenfalls unkommentiert – auf dem zweiten Flipchartpapier notiert! Die „Männer“ fühlen sich, meiner Erfahrung nach, sehr oft überlegen und gleichzeitig unwohl. 
  5. Darauffolgend holen Sie das erste Flipchartpapier, mit den Beschreibungen der Albatrosianer, noch einmal hervor. Jetzt werden die Teilnehmer gefragt, welche der Dinge, die auf diesem Blatt stehen, eine reine Beobachtung sind und welche Aussagen eine Wertung beinhalten. Gehen Sie die Stichpunkte bitte einzeln durch und unterstreichen Sie dabei alle Wertungen!
    Normalerweise haben die Teilnehmer sehr viele Wertungen [zum Beispiel: männerdominante Gesellschaft, Frauen werden unterdrückt, …] gefunden. Nun sollte eine Diskussion über die menschliche Wahrnehmung erfolgen. Fragestellungen könnten beispielsweise sein: Warum werten Menschen sofort? Was ist daran gut? Was schlecht? Wie kann dies vermieden werden? 
    Tenor des Trainers sollte sein, dass ein sofortiges Werten oft fehlerbehaftet ist. Vor allem, wenn man die kulturellen Hintergründe eines bestimmten Verhaltens nicht kennt. In schwierigen Situationen sollte man deshalb zunächst ausschließlich Beobachtungen anstrengen und jegliche Wertungen zunächst außen vor lassen.
    Meine persönliche Theorie [die bei den Teilnehmern meist gut ankommt und einen Aha-Effekt bewirkt] ist, dass das schnelle Werten von Situationen in der Entstehungsgeschichte der Menschen ein Überlebensvorteil war. Wer schnell gewertet hat, hat Gefahren schneller erkannt und konnte sich retten. Menschen, welche diese Eigenschaft in der Vergangenheit nicht hatten, konnten ihre Gene unter Umständen nicht weitergeben, weil sie Gefahren nicht entkommen sind. In der heutigen Zeit ist diese Eigenschaft jedoch leider nur noch selten ein Vorteil. 
  6. Als Nächstes schlagen Sie das Flipchartblatt mit den Gefühlen erneut auf. Die Teilnehmer werden gefragt, warum sie sich so gefühlt haben! Die richtige Antwort auf diese Frage wäre beispielsweise, dass sich die Frauen unterdrückt gefühlt haben, weil in unserer Kultur das Sitzen auf dem Boden [während andere einen Stuhl haben], dass Nicht-Essen [während andere essen dürfen], … mit einer eher negativen Bedeutung versehen ist. Fazit des Trainers: Jede Kultur verbindet mit gewissen Symbolen und Handlungen auch automatisch eine bestimmte Wertung; nur muss diese eben nicht in jeder Kultur gleich sein. 
  7. Dann werden die Teilnehmer gefragt, ob Ihnen „Nachahmen“ geholfen hat. Zum Beispiel als sie beobachtet hatten, wie der erste Teilnehmer die Begrüßung durchgeführt hat, ob es danach einfacher war. Normalerweise lautet die Antwort darauf „Ja“. Dies ist gleichzeitig ein weiterer Punkt, den es bezüglich Interkultureller Kommunikation zu lernen gibt: Wenn ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll, hilft gutes Beobachten und Nachahmen erst einmal weiter.
  8. Danach wird den Teilnehmern die folgende Lösung des Rollenspiels präsentiert: 
    „Wie am Anfang dieses Rollenspiels erwähnt wurde, ist Albatros eine fiktive Kultur. Sie ist speziell für Interkulturelle Rollenspiele entwickelt worden, weil sie auf den ersten Blick frauenverachtend und unemanzipiert wirkt.
    Es scheint als ob die Frauen, die barfuß laufen müssen, die ohne Stuhl unterhalb des Mannes auf dem Boden sitzen, welche die Männer bedienen müssen, die nicht gefüttert werden, die sich vor dem Essen nicht die Hände waschen, in Albatros keine hohe Stellung haben. 
    Entgegen dem ersten Eindruck steht die Frau in Albatros jedoch über dem Mann. Die Erde ist heilig und mit Fruchtbarkeit gesegnet. Die Frauen, die gebären, sind eins mit der Erde: Nur sie dürfen deshalb barfuß laufen. Aus diesem Grund haben die Männer Schuhe an und deshalb knien sie auch nicht auf der Erde. 
    Nur Frauen sind in der Lage, die Früchte der Erde vorzubereiten und anzubieten, daher sind allein die Frauen für die Essensreichung verantwortlich.
    Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau spiegelt die Beziehung zur Erde wider: Drückt der Mann den Kopf der Frau in Richtung Erde, ist dies als Erinnerung an die Frau gedacht, sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst zu werden. Der Mann muss sich erst rituell reinigen, er trinkt und isst zuerst, um die Frau zu schützen.
    Die Gesellschaft schätzt Ruhe und eine gewisse Ernsthaftigkeit. Die Albatrosianer sind friedliebend, Fremden gegenüber aufgeschlossen und tolerant. Ihre Lebensauffassung und ihre Zeremonien sind aus der Tradition gewachsen und werden als selbstverständlich und adäquat betrachtet. 
    Hier unterscheiden sich die Albatrosianer nicht von anderen Menschen: Sie gehen unterbewusst davon aus, dass ihr Verhalten normal ist und erwarten deshalb, dass Fremde sich ebenso verhalten.
    Die vorherrschende Kommunikationsform ist Telepathie.
  9. Fragen Sie die Teilnehmer nun, warum sie die Albatrosianer so vollkommen falsch eingeschätzt haben. 
    Tenor des Trainers sollte sein: Die Fehleinschätzung kam zustande, weil wir die Situation durch unsere eigene „kulturelle Brille“ gesehen haben. Wir sollten unsere eigenen Werte jedoch nicht unbedingt als Maßstab für fremdes Verhalten heranziehen. Zumindest nicht, ohne mehr über die andere Kultur und ihre Hintergründe erfahren zu haben. Denn hätte man die Rollenspielerklärung [siehe Punkt 8] vor der Abreise zur Hand gehabt, wäre unsere Einschätzung eine ganz andere gewesen.
  10. Fragen Sie die Teilnehmer nun bitte abschließend, was Lerneffekte aus diesem Rollenspiel sein könnten.
    Tenor des Trainers sollte sein: Ihnen werden beim internationalen Arbeiten viele Szenen begegnen, in denen Sie Ihre „deutsche Wahrnehmung“ auf den Holzweg führen wird. Da Wahrnehmung immer selektiv und subjektiv ist, sollte man Beobachtung, Interpretation und Schlussfolgerung bei schwierigen interkulturellen Situationen immer voneinander trennen und möglichst viel Hintergrundwissen über die jeweilige Kultur parat haben. Nur so ist eine richtige Einschätzung überhaupt wahrscheinlich.

  

CC BY SA by Markus Eidam für wb-web

 


Quellen

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