Wissensbaustein

Geragogik 

Sinn und Wertschöpfung in der dritten Lebensphase erleben

Vom Silver Surfer über Vorbereitungskurse für den Ruhestand bis hin zum ehrenamtlichen Engagement – Weiterbildungsangebote für Ältere sichern soziale Teilhabe, stärken das Selbstbewusstsein und enthalten ein großes Potenzial für das Gemeinwesen. Der demografische Wandel: Aufgabe und Chance für den Weiterbildungsmarkt?

DefinitionWas ist das?

Unterschieden werden die Begriffe „Altersbildung“ und „Altenbildung“.

Altersbildung

Angebote zur Altersbildung befassen sich mit dem Älterwerden. Die Kurse bereiten die Teilnehmenden mit spezifischen Themen auf die Lebensphase Alter vor. Hierzu zählen unter anderem Kurse zur Vorbereitung auf den Ruhestand, wie zum Beispiel Informationsabende zum Thema „Demenz“ oder Vorträge zur „Altersvorsorge“.

Altenbildung

Die Altenbildung umfasst Bildungsangebote, die sich an eine ältere Zielgruppen richten, zum Beispiel „Computerkurse für Senioren“ oder „Bildungsreisen für Ältere“. Ebenfalls können betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen für ältere Mitarbeitende zur Altenbildung hinzugezählt werden. In der Regel finden die Angebote jedoch in der außerberuflichen Nacherwerbsphase statt.

Infobox

Ziele der Altenbildung sind die Stärkung des Selbstbewusstseins und der Eigenverantwortung sowie die Aufrechterhaltung eines positiven Selbstwertgefühls und Selbstbildes bei älteren Menschen.

(Donicht-Fluck, 1992, S. 122)

GeschichteWoher kommt das?

Weisheit oder erlahmende Geisteskraft – die Geschichte der Altersbildung schwankt zwischen diesen zwei Polen. Beschreibt der erste Begriff auf positive Weise die gewonnene Lebenserfahrung, in Entscheidungsprozessen kompetent handeln zu können, steht die „erlahmende Geisteskraft“ sinnbildlich für ein defizitorientiertes Altersbild. In den 1970er und 1980er Jahren erfolgte eine Ausdifferenzierung der Alten- und der Altersbildungspraxis. Erstere beinhaltete Bildungsangebote für Ältere, letztere Bildungsangebote zur Vorbereitung auf die Lebensphase Alter.

Definition Heterogenität des Alterns und Alters

Die „Heterogenität des Alterns und Alters“ steht für die Erkenntnis, dass Alternsprozesse verschiedener Individuen sehr unterschiedlich verlaufen und stark von genetischen Dispositionen, vorangegangenen Lebensphasen sowie von der aktuellen Lebenssituation beeinflusst sind.

MerkmaleWie geht das?

Seit den 1990er Jahren rückt der demografische Wandel Seniorinnen und Senioren mit einer stetig sich verlängernden nachberuflichen Lebensphase in den Fokus der Weiterbildung. Verantwortlich für diese Trendwende in der Bevölkerungsentwicklung sind drei Faktoren:

  • eine gestiegene Lebenserwartung (Verdopplung zwischen 1900 und 2000),
  • eine stark gesunkene bzw. sinkende Geburtenrate („Pillenknick“ ab 1966),
  • Kriege und Krankheiten (seit Mitte des 20. Jahrhunderts währende Friedensphase und medizinische Entwicklung sowie Ausbleiben von Seuchen und Epidemien).

Abbildung 1: Lebenspyramide (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Die Folge ist eine Veränderung der Lebenspyramide hin zu weniger Jungen und vielen Alten. Ohne eine ausreichende Zuwanderung und Integration der Einwanderer sind gravierende Auswirkungen auf das Rentensystem sowie das Gesundheitssystem abzusehen. Die Weiterbildung für Ältere leitet hieraus ihre Aufgaben und Ziele ab:

  • Erhaltung der möglichst selbstständigen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben,
  • Engagement in gemeinschaftlichen Projekten, zum Beispiel Integration oder Kultur,
  • Verlängerung der beruflichen Laufbahn und Anpassung an neue berufliche Aufgaben,
  • Vernetzung per Internet, zum Beispiel in Social-Media-Kanälen.

Entsprechend zählen folgende Effekte zu den Zielen der Alten- und Altersbildung:

  • gesundheitspräventive Effekte,
  • Entlastung des Pflegesystems,
  • freiwilliges Engagement Älterer,
  • Erwerbstätigkeit nach Renteneintritt.

Studien haben gezeigt, dass Bildungsteilnehmer in der Nacherwerbsphase zu einem gesundheitsbewussteren Lebensstil neigen (Kruse, 2008). Hierdurch wird direkt das Pflegesystem entlastet und indirekt werden pflegende Angehörige unterstützt.

Das freiwillige Engagement Älterer steigt durch die wachsende Anzahl der Beteiligten und stellt einen wesentlichen Beitrag zum „sozialen Kapital“ der Gesellschaft, zum Beispiel im Bereich der Nachbarschaftshilfe, dar.

Die Erwerbstätigkeit in der eigentlich nachberuflichen Lebensphase hat unterschiedliche Gründe. Zum einen verbleiben viele Selbstständige in ihrem Beruf. Sie sind häufig frei in der Gestaltung ihrer Arbeitsintensität und Zeiteinteilung. Ältere als Berater oder Problemlöser sind gern gefragt aufgrund ihres umfangreichen Erfahrungswissens und ihrer sozialen Kompetenzen. Häufig gehen diese Tätigkeiten mit der Übernahme neuer Aufgaben einher. Aber auch die Altersarmut ist für viele ein Grund, in der dritten Lebensphase weiterhin aktiv zu sein und die Rente aufzubessern.

Definition „dritte“ und „vierte Lebensphase“

Die dritte Lebensphase bezeichnet die Nacherwerbsphase, die durch ein noch hohes Niveau physischer und psychischer Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft gekennzeichnet ist und in dem Aktivitäten kaum durch gesundheitliche Beeinträchtigungen eingeschränkt sind.

Die vierte Lebensphase steht für die letzten Lebensjahre, die durch wachsenden Unterstützungsbedarf, physische Einschränkungen und häufig auch demenzielle Erkrankungen nur noch ein eng begrenztes Aktivitätsspektrum zulassen (Schmidt-Hertha, 2014).

Die Bildungs- und Lernbedürfnisse sind individuell unterschiedlich. Zum einen können Bildungsprozesse als individuelles Projekt gesehen werden oder als solidarische Handlung, die als Interaktion mit anderen erfolgt und ggf. der Allgemeinheit dient.

Aus diesen zwei Dimensionen lassen sich vier Typen zum Bildungsverständnis Älterer ableiten.

Abbildung 2: Typologie zum Bildungsverständnis Älterer (Quelle: nach Tippelt u.a. 2009b, S. 175)

Menschen sind in jedem Alter in der Lage, selbst Lernprozesse zu planen und sich systematisch mit neuen Inhaltsbereichen vertraut zu machen. Die Effektivität des Lernens hängt von den angeeigneten Lernstrategien und der Lerngewöhnung im Sinne eines kontinuierlichen Weiterlernens ab (Schmidt-Hertha, 2014). Die Angebotsformate für Ältere sind vielfältig:

  • Formale Bildung (Weiterbildung zum Beispiel durch weiterbildende Studiengänge) gewinnt durch die verlängerte Lebensarbeitszeit an Bedeutung.
  • Non-formale Bildung beinhaltet sowohl die außerschulische Jugendbildung wie auch insbesondere die Erwachsenen- und Weiterbildung. Zu Letzterer zählen neben dem großen Bereich der berufsbezogenen Weiterbildung die allgemeine und die politische Erwachsenenbildung. Weiterbildungsangebote von Einrichtungen wie Verbänden und Vereinen, deren Kerngeschäft andere Aufgaben beinhaltet, ergänzen das Angebotsportfolio ebenso wie Kirchen und Gewerkschaften, die oft eigene Bildungseinrichtungen unterhalten.

Bei älteren Menschen sind umfangreiche informelle Kompetenzen vorhanden. Langjährige bewusste oder unbewusste Lernprozesse finden dabei in unterschiedlichen Kontexten statt, so zum Beispiel in Beruf, Familie oder Hobby. Dabei ist der Wissenserwerb stark abhängig von vorangegangenen Erfahrungen.

Die Weiterbildung für ältere Zielgruppen muss an dieses Vorwissen und vorhandene Wissensbestände anknüpfen, diese bewusst machen, reflektieren und einordnen. Ziel ist die Anschlussfähigkeit neuer Lerninhalte. Ein Ansatzpunkt hierbei ist die biografische Bildungsarbeit.

Die Voraussetzung für das Erschließen neuer Lerninhalte ist das In-Kontakt-Kommen mit dem Interessengebiet. Dies kann durch Aktivitäten und das soziale Umfeld erfolgen oder aber ein lange insgeheim gehegter Wunsch sein. Der Grad der Teilhabe hängt dabei vom gesundheitlichen Zustand, dem individuellen Aktivitätsgrad sowie den ökonomischen Ressourcen ab. Ein weiterer Faktor für die Teilhabe an Lernangeboten ist die Mobilität bzw. die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel der Einzelnen.

Bei der Planung von Angeboten ist auf die Heterogenität des Alters und des Alterns zu achten. Die Heterogenität wächst innerhalb einer Kohorte mit zunehmenden Alter. Bei älteren Zielgruppen spielen Vorbildung, Berufsbiografie, Erwerbssituation, Weiterbildungserfahrungen, Geschlecht und Migrationshintergrund eine Rolle.

Definition „Kohorte“

Eine Gruppe von Personen, die im gleichen Zeitraum (oft im gleichen Jahr) geboren wurden, bezeichnet man als Kohorte.

HandlungsfelderWo brauche ich das?

Die Erstellung von Lernarrangements stellt angesichts der Heterogenität älterer Lernender eine Herkulesaufgabe für den Lehrenden dar. Die „alterssensible Didaktik“ gibt es nicht, wohl aber altersgemischte Lerngruppen. Für diese sind Lehr-Lerninteraktionen auf der mikrodidaktischen Ebene, bildungsplanerisches Handeln sowie die organisationale Rahmung auf der makrodidaktischen Ebene notwendig.

Bildungsaktive Ältere mit höheren schulischen und beruflichen Bildungsabschlüssen stellen die Mehrheit der Teilnehmer in universitären Angeboten des Seniorenstudiums und Seniorenakademien wie auch bei unterschiedlichen Bildungsträgern, wie die Volkshochschulen. Jüngere Teilnehmer im dritten Lebensalter agieren im Lernprozess deutlich selbstständiger und eigenverantwortlicher als ältere (Stichwort: selbstgesteuertes Lernen).

Folgende didaktische Merkmale sind bei der Erstellung eines Lernangebots für diese Gruppe relevant:

  • größtmögliche Freiheit und Selbstbestimmung von Lernzielen, Lerntempo und Inhalten,
  • Übernahme der Rolle des Lehrenden/Selbstgelerntes weiterzugeben, um den eigenen Lernprozess zu fördern und die eigene Lernmotivation zu fördern,
  • Möglichkeit der Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand nach curricularen Vorgaben.
  • Für bildungsferne Ältere können dagegen instrumentell organisierte Bildungsangebote und lehrerzentrierte Szenarien die ideale Lernkonzeption sein. 

Merksatz

Die Teilnehmerorientierung bei der Angebotsentwicklung richtet sich an der Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden sowie an deren Lebenswelt aus. 

Eine von klassischen Bildungsangeboten nur schwierig zu erreichende Gruppe besteht aus älteren Männern. Ein Weg für die Einbindung dieser Gruppe sind zum Beispiel Projekte mit gemeinwohlzentrierten oder sozialen Zwecken. Ziel ist es, informelles Lernen bei dieser Arbeit anzustoßen.

Eine ganz andere Zielsetzung verfolgen Angebote für Ältere im vierten Lebensalter. Diese haben das Ziel, Fähigkeiten zu erhalten bzw. Verluste zu verlangsamen. 

DiskussionWas wird diskutiert?

Die Geragogik bewegt sich in einem sehr heterogenen Feld, weil die Menschen sehr unterschiedlich altern. Sie bietet  Bildung, Beratung und Begleitung. Auf der einen Seite bieten Einrichtungen wie zum Beispiel Museen, Bildungsangebote an. Altenbildung steht aber auch für Begleitung von Dementen oder Hochbetagten. Ein stetig wachsendes Feld ist die Vernetzung über digitale Medien. Sie bietet älteren Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe und zum Austausch, wenn ein persönliches Treffen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist.

Mit dem demografischen Wandel und der gestiegenen Lebenserwartung steuert Deutschland vorübergehend auf eine überalterte Gesellschaft zu. Das Renteneintrittsalter wurde entsprechend angehoben. Der Erfahrungsschatz älterer und ausscheidender Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wird vielerorts geschätzt. Die Untersuchung Erhalt, Entwicklung und Nutzung von Innovationspotenzialen Älterer aus dem Jahr 2004 stellte die Möglichkeiten, Angebote und Gelegenheiten zur Sicherung und Entwicklung der Kompetenzen Älterer als Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung in den Mittelpunkt.

Internationale BezügeWie sieht man das woanders?

Im Netzwerk „Learning in Later Life“ fördert das ZAWiW den Austausch zwischen sowie Kooperationen von Einrichtungen der Senioren-Weiterbildung und den Senioren. Ein weiterer Forschungs- wie Praxisaspekt fokussiert das intergenerationelle Lernen und Miteinander.


Service

Verwandte Begriffe

Geragogik, Gerontologie, Altersbildung, Altenbildung, Seniorenbildung

Zur Reflexion

  • Was muss ein Angebot zur Medienbildung beachten, wenn es Senioren adressiert? Welche Probleme können auftauchen?
  • Finden Sie Argumente für und gegen intergenerationelle Lernangebote!
  • Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt sind wichtig für die Gesellschaft. Welche Themen kann ein Bildungsangebot für Senioren und Seniorinnen in diesem Bereich beinhalten?

Literaturliste

  • Lottmann, R. (2013). Bildung im Alter – für alle?. Bielefeld: W. Bertelsmann.

    Der Autor befasst sich in dem Band mit Altersbildern, Zielen und Strukturen in der nachberuflichen Bildung in Deutschland und den USA. Auf Grundlage der Basis aktueller Zahlen des Mikrozensus untersucht die empirische Studie, wer an Bildungsangeboten im Alter ab 55 Jahren teilnimmt. Welche Hemmnisse stehen einem Lebenslangen Lernens im Weg und wie wirkt sich soziale Ungleichheit auf die Teilnahme über die gesamte Lebensspanne aus? 

  • Kade, S. (2001). Selbstorganisiertes Alter. Bielefeld: W. Bertelsmann.

    In dem Band aus der Reihe „Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung“ stellt die Autorin verschiedene Lernanlässe und Szenarien für, wie sie es nennt, ein „Altern in der „erweiterten Moderne“, vor. Die Dokumentation ist das Ergebnis des Forschungsprojekts „Selbstorganisiertes Lernen im Alter“. Aus den unterschiedlichen Perspektiven Lehrender und Lernender ergibt sich dabei eine Differenzierung zwischen selbstorganisiertem Lernen und der Selbstverwirklichung im Alter durch Bildung.  

  • Friebe, J., Schmidt-Hertha, B. & Tippelt, R. (Hrsg.). (2014). Kompetenzen im höheren Lebensalter. Ergebnisse der Studie „Competencies in Later Life“ (CILL). Bielefeld: W. Bertelsmann.

    Die Autoren stellen in dem Band der Reihe „DIE Spezial“ die Ergebnisse der Studie „Competencies in Later Life“ (CILL) vor. Ziele des Projekts waren:

  • Franz, J. (2014). Intergenerationelle Bildung. Lernsituationen gestalten und Angebote entwickeln. Bielefeld: W. Bertelsmann

    Der Band vermittelt didaktische Prinzipien intergenerationellen Lernens in der alltäglichen Bildungspraxis. Diese werden anhand von anschaulichen Beispielen verdeutlicht. Aus den Prinzipien entwickelt die Autorin praktische methodische Anregungen für Seminarsituationen mit Angehörigen verschiedener Generationen. die Erfassung der Kompetenzen 66- bis 80-Jähriger in Deutschland und  die Frage nach den Anforderungen, die ältere Menschen im Alltag meistern müssen

Quellen

Donicht-Fluck, B. (1992). Perspektiven zur Altenbildung aus den USA. In E. Schlutz & H. Tews, Perspektiven zur Bildung Älterer (S. 117–130). Frankfurt a.M.: Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes e.V. Abgerufen am 12.10.2017

Franz, J. (2014). Intergenerationelle Bildung. Lernsituationen gestalten und Angebote entwickeln. Bielefeld: W. Bertelsmann

Kruse, A. (Hrsg.). (2008). Weiterbildung in der zweiten Lebenshälfte. Bielefeld: W. Bertelsmann. Abgerufen am 12.09.2017

Schmidt-Hertha, B. (2014). Kompetenzerwerb und Lernen im Alter. Bielefeld: W. Bertelsmann.

Tippelt, R., Schmidt, B., Schnurr, S., Sinner & S., Theisen, C. (2009). Bildung Älterer – Chancen im demografischen Wandel.  Abgerufen am 12.09.2017


Das könnte Sie auch interessieren

Passende Wissensbausteine

Passendes Material