Wissensbaustein

Ermöglichungsdidaktik

Welche Chancen birgt die Ermöglichungsdidaktik für die Erwachsenen- und Weiterbildung?

Die Ermöglichungsdidaktik sieht die Lernenden als verantwortlich für ihr selbstbestimmtes Lernen. Was aber, wenn die Lernenden das nicht umsetzen können? Welche Rolle übernehmen die Lehrenden in diesem Ansatz? Und wie lässt sich dieser in der Praxis realisieren? Das beinhaltet, je nach Handlungsfeld oder Kursinhalt, Herausforderungen für Lehrende, Lernende und Einrichtungen.

Junge läuft im Schnee

Mit Ermöglichungsdidaktik auf dem eigenen Lernweg… (Bild: In Motion/Alexander Saprykin/flickr.com, CC BY 2.0)

DefinitionWas ist das?

Die „Ermöglichungsdidaktik“ soll, wie ihr Name bereits andeutet, den Lernenden das Lernen ermöglichen – und zwar eigenständig und selbstgesteuert. Die Lernenden setzen sich ihre Lernziele selbst, während die Lehrkraft die Rahmenbedingungen für diese Form des Lernens schaffen soll. Damit unterscheidet sich das Konzept von der „Erzeugungsdidaktik“, auf deren Grundlage die Lehrkraft Inhalte vermittelt und Lernziele von außen setzt.

GeschichteWoher kommt das?

Der Pädagoge Rolf Arnold hat den Begriff „Ermöglichungsdidaktik“ geprägt. Er entwickelte in den 1990er Jahren das Konzept auf der Grundlage der konstruktivistischen Didaktik. Der Konstruktivismus geht davon aus, dass die Wirklichkeit individuell konstruiert ist. Dementsprechend kann der Erwerb von Wissen nicht von der Lehrkraft vermittelt, sondern nur angeregt werden. Weil Lerninhalte und Lernziele also immer individuell sind, sollen die Lernenden in der Ermöglichungsdidaktik zum selbstorganisierten Lernen geführt werden.

MerkmaleWie geht das?

Der Ansatz der Ermöglichungsdidaktik beruht auf Forschungsergebnissen aus der Lernforschung und den Neurowissenschaften (Arnold & Gomez Tutor, 2007, S. 62ff.). Arnold leitete aus diesen Ergebnissen unter anderem eine neue Rolle der Lehrkraft ab. Sie soll ein Lernbegleiter, ein Lernarrangeur oder Coach für Lernende sein. Das setzt voraus, dass jeder Lehrende in der Erwachsenenbildung sich und sein Handeln als Lehrkraft reflektiert. Es geht darum, sich seiner nachrangigen Stellung im Lehr-Lernprozess bewusst zu werden (ebd., S. 8). Gemeinsam mit den Lernenden werden individuelle Lernziele entwickelt, bzw. der Lernbegleiter oder Lernberater bietet hierfür die geeigneten Methoden an. Er kümmert sich um eine positive Lernumgebung und gibt erste Anleitungen im Sinne des „Scaffolding“. Der Begriff stammt aus der amerikanischen Lernforschung. Vergleicht man den Prozess mit dem Hausbau, wird von der Lehrkraft ein Gerüst aus Anleitungen und Hilfestellungen bereitgestellt. Anhand dessen baut der Lernende sein eigenes Gebäude, erreicht also seine individuellen Lernziele und entwickelt seine Kompetenzen (Interview mit Arnold, 2011, S. 9). Ermöglichungsdidaktik braucht damit die Lehrkraft, die sich als Lernbegleiterin sieht, den Lernenden, der seine Lernerziele umsetzen möchte, und Methoden, die diese Ziele unterstützen. Der Lernende soll dadurch die Kompetenzen, die man zum selbstorganisierten Lernen braucht, entwickeln.

HandlungsfelderWo brauche ich das?

Ein Lernmodell, das Rolf Arnold für die Umsetzung der Ermöglichungsdidaktik entwickelte, ist LENA. „LENA – lebendiges und nachhaltiges Lernen“ entstand in der Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsförderungsinstitut Österreich (WIFI).

LENA besteht aus 29 Regeln, die sich sowohl auf die Lehrkraft beziehen, als auch auf die Lernenden und die methodisch-didaktische Gestaltung des Lehr-Lernprozesses. Die Regeln reichen dabei von „Überprüfen Sie die eigene Lerntheorie“ über „Stärken Sie die Selbstlernfähigkeit der Lernenden“ zu „Nutzen Sie die Konzepte des handlungsorientierten Lernens“ und „Erweitern Sie Ihr Methodenrepertoire“.

 LENA ist ein praxisorientiertes Modell, das mit „S.P.A.S.S.“, einem weiteren Akronym, Hinweise auf Methoden anbietet, die sich zur Umsetzung der Ermöglichungsdidaktik eignen. S.P.A.S.S. steht für selbstgesteuert, produktiv, aktivierend, situativ und sozial. S.P.A.S.S. besagt kurz gefasst, dass Methoden

  • selbstgesteuertes Lernen unterstützen sollen;
  • produktiv sein sollen, also die Möglichkeit bieten sollen, etwas zu entdecken;
  • aktivierend sein sollen, indem die Lernenden Lösungswege selbst entwickeln, planen und durchführen;
  • situativ sein und einen Bezug zur Lerngruppe haben sollen;
  • sozial sein sollen, also Wertschätzung, konstruktive Kritik und die Möglichkeit, Gefühle wahrzunehmen beinhalten sollen.

 Tabelle 1 erklärt die Methoden-Kriterien nach S.P.A.S.S. detailliert.

Tabelle SPASS

(Quelle: Arnold, 2012, S. 79) 

Die Ermöglichungsdidaktik erwartet von der Lehrkraft also keine durchstrukturierte Lehreinheit, dafür aber einen anderen kritischen Blick auf die eigene Rolle, Fachkenntnis, Methodenvielfalt und Flexibilität. Sie trägt die Verantwortung dafür, die Lernenden zu aktivieren, so dass sie ihren Lernprozess selbst in die Hand nehmen. Dazu stellt sie immer wieder sicher, dass die Themen oder Lernziele anschlussfähig sind, indem auf bestehendes Wissen und Kompetenzen aufgebaut wird. 

So wie die Lehrkraft in diesem Modell von der „traditionellen“ Rolle als Vermittlerin von Wissen Abschied nehmen muss, können sich die Lernenden nicht auf die Rolle als Rezipienten von Wissen berufen, sondern müssen aktiv werden. Dementsprechend müssen auch die Lernenden umdenken und ihr Lernverhalten verändern. Sie gestalten ihre Lernziele und eignen sich Wissen und Kompetenzen an.

DiskussionWas wird diskutiert?

Die berufliche Bildung formuliert zum Teil sehr enge Lehrpläne – wie kann der Spagat zwischen selbstgesteuertem Lernen, Vorgaben aus den Betrieben und zum Teil noch sehr traditionellen Lehrformen in Berufsschulen dennoch gelingen?

Im Rahmen des Corporate Learning Camp 2014 sprachen Prof. Dr. Peter Dehnbostel, Prof. Dr. Werner Sauter und Friedrich A. Ittner darüber, wie in Betrieben heute moderne Lernkonzepte umgesetzt werden.

Diesen Teil der Diskussion zeigt das Video. 

Allerdings betrachteten die Interviewpartner die Umsetzung der Ermöglichungsdidaktik und des selbstorganisierten Lernens auch kritisch. In der betrieblichen Aus- und Weiterbildung können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwar auch Kompetenzen erwerben, die über die geforderten hinausgehen. Es gibt aber Lernziele, die erreicht werden müssen, was im Widerspruch zur Ermöglichungsdidaktik steht.

Eine kritische Auseinandersetzung mit dem konstruktivistischen Ansatz in der Pädagogik gibt es auch an anderer Stelle. Dieser Artikel unterzieht infolgedessen auch die Ermöglichungsdidaktik einer kritischen Betrachtung: Widersinnig, unnötig, unkritisch: Die "konstruktivistische Wende" in der Pädagogik.

Internationale BezügeWie sieht man das woanders?

Ermöglichungsdidaktik ist ein Modell, das im deutschsprachigen Raum existiert. Eine vergleichbare Diskussion findet international um die „Heutagogy” – oder „Heutagogik” – statt, die eng verbunden ist mit dem Konzept des „self-determined learning”. Auch die Heutagogik (abgeleitet vom altgriechischen Wort für „selbst”) sieht den Lernenden als Experten seines Lernprozesses. Die Heutagogik wird aber – im Gegensatz zur Ermöglichungsdidaktik – vor allem im Bereich des E-Learnings angewandt.


Service

Zur Reflexion

Das S.P.A.S.S.-Schema bietet eine Orientierung, wie die Methodenvielfalt im Seminar aussehen kann. Reflektieren Sie die Methodenplanung von einem Ihrer Kurse: Haben Sie zu jedem Stichwort eine passende Methode parat? Oder fehlen Aspekte? Wie könnten Sie alle fünf Aspekte einplanen?

Literaturliste

  • Arnold, R. (2012). Wie man lehrt, ohne zu belehren. 29 Regeln für eine kluge Lehre. Das LENA-Modell. Heidelberg: Carl-Auer.
    Eine umfangreiche Sammlung von Texten zur Überprüfung des eigenen Standorts und eine praxisorientierte Hilfe, neue Wege in der Weiterbildung zu gehen. 
  • Blaschke, L. M. (2012). Heutagogy and Lifelong Learning: A Review of Heutagogical Practice and Self-Determined Learning. Abgerufen von www.irrodl.org/index.php/irrodl/article/view/1076/2087
    Wer mehr über Heutagogy lesen möchte, kann in diesem Artikel einen fundierten Überblick gewinnen.   
  • Lutzland (2014). Was ist Lernkultur? Abgerufen von www.youtube.com/watch?v=-J50uSYnDDI
    Sehr interessantes Gespräch zum Thema Lernkultur in Betrieben von Prof. Dr. Peter Dehnbostel, Prof. Dr. Werner Sauter und Friedrich A. Ittner, im Rahmen des Corporate Learning Camp 2014.
  •  Sicherheitsreport (2011). Hirnforschung, Didaktik und Lernen. Lebenslang lernen. Abgerufen von www.sowi.uni-kl.de/fileadmin/paed/veroeff/Arnold/Lebenslang_Lernen.pdf
    Rolf Arnold im Interview. Der kurze Artikel gibt einen guten Überblick über die Ermöglichungsdidaktik.
  •  WIFI Salzburg (2010). Lernmodell LENA. Abgerufen von www.youtube.com/watch?v=YixLRq0dY-U
    Im Video wird das Lernmodell erklärt und mit Stimmen aus der Praxis angereichert.

Quellen

Arnold, R. (2012). Wie man lehrt, ohne zu belehren. 29 Regeln für eine kluge Lehre. Das LENA-Modell. Heidelberg: Carl-Auer

Arnold, R., Prescher, T., & Stroh, C. (2014). Ermöglichungsdidaktik konkret: Didaktische Rekonstruktion ausgewählter Lernszenarien. Baltmannsweiler: Schneider.

Blaschke, L. M. (2012). Heutagogy and Lifelong Learning: A Review of Heutagogical Practice and Self-Determined Learning. Abgerufen von www.irrodl.org/index.php/irrodl/article/view/1076/2087

Gieseke, W., Nuissl, E., & Schüßler, I. (2012). Reflexionen zur Selbstbildung. Festschrift für Rolf Arnold. Bielefeld: W. Bertelsmann.

Lutzland (2014). Was ist Lernkultur? Abgerufen von www.youtube.com/watch?v=-J50uSYnDDI

Sicherheitsreport (2011). Hirnforschung, Didaktik und Lernen. Lebenslang lernen. Abgerufen von www.sowi.uni-kl.de/fileadmin/paed/veroeff/Arnold/Lebenslang_Lernen.pdf

WIFI Salzburg (2010). Lernmodell LENA. Abgerufen von www.youtube.com/watch?v=YixLRq0dY-U


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