Wissensbaustein

Selbstgesteuertes Lernen

Neue Rollen für Lehrende und Lernende

Das selbstgesteuerte Lernen verändert die Rolle und die Aufgaben des Lehrenden. Welche Aufgaben und welches Rollenverständnis gefordert sind, wird in diesem Wissensbaustein gezeigt. Insbesondere zeigen wir Möglichkeiten zur Konzeption und Steuerung von selbstgesteuertem Lernen auf. Wie kann ich als Lehrkraft den selbstgesteuerten Lernprozess positiv beeinflussen?

DefinitionWas ist das?

Selbstgesteuertes Lernen ist eine Lernform, bei der die Lernenden im Hinblick auf vorgegebene (fremd- wie selbstbestimmte) Ziele und in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation sowie den Anforderungen der aktuellen Lernsituation eine oder mehrere Selbststeuerungsmaßnahmen ergreifen und dadurch den Fortgang des Lernprozesses selbst überwachen, regulieren und bewerten (Konrad & Traub, 2010). Die Lehrenden haben in dieser Lernform die Rolle der Unterstützer, Motivierer und Förderer, während die Lernenden mehr Selbstverantwortung und Mitbestimmung übernehmen.

Selbstgesteuertes Lernen wie auch fremdgesteuertes Lernen sind in Reinform nur ausnahmsweise realisierbar. So ist bei selbstgesteuertem Lernen, wenn auch weitgehend frei von externen Einflüssen, immer noch die Charakteristik des Lerngegenstandes als externer Faktor mitbestimmend für die Lernaktivitäten.

Weltner (1978) unterscheidet grob drei grundsätzlich verschiedene Lernsituationen:

  • Lernen im Unterricht
  • Lernen in sozialen Situationen, außerhalb von Unterricht
  • Lernen in Einzelsituationen

Der Selbststeuerung kommt beim autonomen Lernen in Einzelsituationen ein höherer Stellenwert zu als bei fremdgesteuertem Lernen im Unterricht. 

Eine Grafik, die den Grad der Autonomie und der Fremdsteuerung im Unterricht zeigt.

Abbildung 1: Grad der Autonomie und der Fremdsteuerung im Unterricht (Konrad & Traub, 2010, eigene Darstellung) 

Entscheidend für den Lernerfolg ist die Motivation des Lernenden. So gelten Menschen als motiviert, wenn sie mit ihrem Verhalten ein bestimmtes Ziel verfolgen. Die Selbstbestimmungstheorie unterscheidet dabei qualitative Ausprägungen motivierten Handelns. Eine Handlung gilt als selbstbestimmt, wenn sie als frei gewählt erlebt wird. Ein daraus abzuleitendes Ziel für den Erfolg des selbstgesteuerten Lernens ist die Vermittlung und Integration von Zielen, Normen und Handlungsstrategien in die eigene selbstbestimmte Handlung des Lernenden (Deci & Ryan, 1993).

Wo selbstgesteuertes Lernen anfängt, hängt von der Wahrnehmung des Lernenden ab. Unabhängig davon, ob das Lernverhalten tatsächlich der eigenen Kontrolle unterliegt oder nicht, ist das persönliche Empfinden der eigenen Kontrollüberzeugung entscheidend für eine Zuordnung zu selbst- oder fremdgesteuertem Lernen.

„Empirische Befunde aus Labor- und Felduntersuchungen belegen, dass eine auf Selbstbestimmung beruhende Lernmotivation positive Wirkungen auf die Qualität des Lernens hat. Darüber hinaus läßt sich zeigen, dass die soziale Umwelt […] an der Entstehung selbstbestimmter Motivation erheblichen Anteil hat“ (Deci & Ryan, 1993).

Mit viel Eigeninitiative verbindet selbstgesteuertes Lernen im Idealfall Alltagslernen und bewusstes, geplantes Lernen miteinander. Lernende definieren bestenfalls selbst, was sie wie lernen wollen und setzen dies zielgerichtet um. Dabei sollen die Lernenden ihr Handeln in sechs Bereichen selbst steuern:

  1. Lernaufgaben und Lernschritte,
  2. Regeln der Aufgabenbearbeitung (Individuum und Gruppe),
  3. Lernmittel, Lernmedien, Lernmethoden oder Lernwerkzeuge,
  4. zeitliche Investitionen und Wiederholungen bei der Bearbeitung von Aufgaben,
  5. Form des Feedbacks und der Expertenhilfe,
  6. soziale Unterstützung durch Kollegen und Lernpartner.

GeschichteWoher kommt das?

Das selbstgesteuerte Lernen stellt kein neues Konzept in der pädagogischen Theorie und Praxis dar. Es hat viele verschiedene Wurzeln zum Beispiel in der Kybernetik, in der Chaosforschung und in der Systemtheorie. Wir beziehen uns in diesem Wissensbaustein auf den humanistischen Ursprung, aus dem weitere Strömungen entstanden sind. So beschrieb bereits Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) die Erziehung Émiles als pädagogische Arbeit, die gewissermaßen im Verborgenen stattfindet. Die Lehre Rousseaus konzentrierte sich auf die Inszenierung von Lehr-Lernszenen, Begleitung, Ermunterung und Ausprobieren nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“. Selbstgesteuertes Lernen hat in vielen Epochen und in unterschiedlichen Kontexten als Idee bzw. als Zugang zum Lernen eine Rolle gespielt. Auch die Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts setzte sich mit den Begriffen „Selbsttätigkeit“ bzw. „Selbstständigkeit“ und „Autonomie“ auseinander. Lehrenden kommt in diesem Verständnis die Aufgabe zu, die Kräfte der Lernenden zu aktivieren und an individuelle Fähigkeiten anzuknüpfen. 

MerkmaleWie geht das?

Für die Erwachsenenpädagogik bedeutet diese Form der Wissensvermittlung, dass der Lehrende dafür zuständig ist, dass Lernenden das selbstgesteuerte Lernen gelingt, ohne dass gelehrt wird (Arnold, 2010).

Selbstgesteuertes Lernen muss gelernt werden und der Erfolg ist in starkem Maße abhängig von der Fähigkeit der Selbstregulation. Drei Aspekte, die seitens der Person des Lernenden den Prozess des selbstgesteuerten Lernens beeinflussen, sind: Kognition, Metakognition und Motivation.

Im Fokus liegt die Handlungsregulation: Wie strukturiert der Lernende den Lernprozess? Wie setzt er kognitive (Vorwissen), metakognitive (Lern- und Kontrollstrategien) sowie motivationale Aspekte (volitionale Handlungssteuerung) ein bzw. um?

Zur Vorbereitung analysiert die Lehrkraft die Aufgabenanforderungen (Aufgabenstruktur und -inhalt, Handlungsschritte, Lernvoraussetzungen). Im nächsten Schritt bestimmt die Lehrkraft, ob der Lernende über die zur Aufgabenbewältigung benötigten Lernvoraussetzungen und Strategien verfügt (vgl. Wissensbausteine „Pädagogische Diagnostik“ und „Evaluation“). Im Lehrprozess werden die entsprechenden Lernvoraussetzungen geübt und es werden mit den Lernenden Strategien entwickelt und erprobt. Dabei stehen die Lernstrategien im Fokus, die gut alleine genutzt werden können, wie auch Modellvorgaben, Selbstinstruktionstraining und Selbstregulation. Mit einem zielführenden und sofortigen Feedback unterstützt die Lehrkraft den Lernprozess und motiviert die Lernenden bei auftretenden Schwierigkeiten. Zur Verfügung gestellte Lernhilfen, wie z.B. gezielte Fragen (vgl. Dossier „Methodenkorb“), ermöglichen es, die Lernstrategien beizubehalten und den Transfer auf andere Aufgaben sicherzustellen.

Die Grafik listet Methoden und Möglichkeiten der Steuerung des selbstgesteuerten Lernprozesses auf.

Abbildung 2: Steuerung des selbstgesteuerten Lehr-Lernprozesses (Konrad, 2014; Konrad & Traub, 2010; eigene Darstellung)

HandlungsfelderWo brauche ich das?

Grundsätzlich besteht die Annahme, dass Lernen immer zu einem gewissen Grad selbstgesteuert stattfindet. Insbesondere in der Erwachsenen-/Weiterbildung läuft Lernen immer auf das selbstlernende Subjekt hinaus. Aufgrund dieses Verständnisses ist es wichtig, dass Erwachsenenbildner selbstgesteuertes Lernen kennen und wissen, wie es eingesetzt und gezielt gefördert werden kann.

Die Lehrkraft konzipiert den Lernprozess, erstellt die Lernumgebungen und Kontexte, in denen sich die Lernenden als autonom, kompetent und sozial eingebunden erleben.

Folgende drei Grundbedürfnisse sollten berücksichtigt werden

  • Autonomie bzw. Selbstbestimmung,
  • Kompetenz bzw. Wirksamkeit und
  • soziale Eingebundenheit bzw. soziale Zugehörigkeit (Deci &Ryan,1993).

Autonomie bedeutet, der Lernende erlebt Freiräume und trifft eigenständige Entscheidungen. Dies bedeutet nicht zwangsläufig völlige Freiheit, sondern einen Raum, der durch strukturelle Rahmenbedingungen begrenzt ist, z.B. bei der Auswahl aus dem von der Lehrkraft vorgegebenem Materialpool durch den Lernenden.

Kompetenz erlebt der Lernende, wenn er sich als (selbst)wirksam erfährt. Das heißt, dass das eigene Handeln aufgrund eigener Kompetenzen Erfolg hat.

Die soziale Einbindung erlebt der Lernende in einem sozialen System, z.B. der Lerngruppe.


DiskussionWas wird diskutiert?

Die Diskussion um selbstgesteuertes Lernen resultiert aus gesellschaftlichen Prozessen, die die Rahmenbedingungen des Lernens in der Erwachsenenbildung verändern. Hierzu zählen die Trends zur: Individualisierung, Deinstitutionalisierung sowie Deregulierung.

Der Trend zur Individualisierung geht auf zunehmend teilnehmerorientierte Angebote zurück, denen kein einheitliches Adressatenschema zugrunde liegt.

Die Deinstitutionalisierung beinhaltet über das institutionelle Lernen hinaus zum Beispiel das Lernen am Arbeitsplatz, im sozialen Umfeld oder mit Medien.

Der Begriff Deregulierung beschreibt den Prozess des Rückzugs der Politik aus der Steuerung gesellschaftlicher Prozesse und Fokussierung auf die Sicherstellung von Rahmenbedingungen (Dietrich &Fuchs-Brüninghoff, 1999)

Viele Lehrende fragen sich, ob sie sich nicht selbst überflüssig machen, wenn das Thema selbstgesteuertes Lernen diskutiert wird. Dabei ist die Lehrkraft als Experte diejenige Person, die

  • das selbstgesteuerte Lernen konzipiert,
  • die entsprechenden für den Lerner/Lerntyp  geeigneten Materialien erstellt,
  • aus der Vielzahl der vorhandenen Materialien auswählt,
  • im Lernprozess beratend zur Verfügung steht sowie
  • eine externe Kontrollfunktion übernimmt.

  Ein weiterer Punkt ist die Diskussion des selbstgesteuerten Lernens im Online-Lernen, z.B. mit MOOCs, aber auch in den Bereichen Fernstudium und Fernlernen. Hier steht die Entwicklung methodischer und didaktischer Möglichkeiten im Zusammenhang mit der technischen Umsetzung im Fokus.

Internationale BezügeWie sieht man das woanders?

Stewart Hase und Chris Kenyon, Australien, erschufen den Begriff „Heutagogy“ und stellten den Lernenden ins Zentrum des Lehr-Lernprozesses in Abgrenzung zur „curricularen“ oder „lehrerzentrierten Bildung“. In den USA und Kanada erlebt die Heutagogy, eine Form des selbstbestimmten Lernens, eine Renaissance. Insbesondere in Bezug auf das selbstbestimmte Lernen im Web 2.0 steht die Entwicklung neuer Unterrichtsmaterialen und Methoden in der Diskussion. Ziele sind die Entwicklung und Verfügbarkeit neuer Web 2.0-geeigneter Lernmaterialien, u.a. für Fernlernen bzw. Fernunterricht sowie die Betreuung im Fernlernen. Ein weiteres Feld, das als Lernplattform dienen kann, stellen soziale Netzwerke dar (Blaschke, 2012).


Service

Verwandte Begriffe

Offener Unterricht, kooperatives Lernen, Autodidaktik, expansives Lernen, Projektarbeit, entdeckendes Lernen, Heutagogy, selbstbestimmtes Lernen, Fernlernen, Fernunterricht, Fernstudium

Zur Reflexion

  • Wie können Sie als Lehrkraft den selbstgesteuerten  Lernprozess kontrollieren und positiv beeinflussen?

Literaturliste

  • Dietrich, S., & Fuchs-Brüninghoff, E. (Hrsg.). (1999). Selbstgesteuertes Lernen. Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur. Abgerufen von www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-1999/dietrich99_01.pdf 
    Die Publikation aus dem Projekt „SeGeL“ befasst sich mit dem Begriff „Selbstgesteuertes Lernen“, welche Erfahrungen es  im Ausland gibt und wie Kompetenzen für selbstgesteuertes Lernen entwickelt werden. Darüber hinaus werden Beispiele aus der Praxis vorgestellt und Erfahrungen bezogen auf Institutionen dargestellt
  • Konrad, K. (2014). Lernen lernen – allein und mit anderen. Wiesbaden: Springer VS.
    Der Band gibt einen Überblick darüber, was Lernen als Individuum sowie in der Gruppe ausmacht. Konrad bietet Konzepte, Lösungen und Beispiele für den Einsatz im Lehr-Lernprozess.

Quellen

Arnold, R. (2010). Selbstorganisation – Selbststeuerung (2. Aufl.). In Arnold, R., Nolda, S., Nuissl, E.  Wörterbuch Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 264

Blaschke, L. (2012). Heutagogy and Lifelong Learning: A Review of Heutagogical Practice and Self-Determined Learning. Abgerufen von www.irrodl.org/index.php/irrodl/article/view/1076/2087

Deci, E., & Ryan, R. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik. Abgerufen von https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/fileadmin/Redaktion/Institute/Allgemeine_Sprachwissenschaft/Dokumente/Bilder/1993_DeciRyan_DieSelbstbestimmungstheoriederMotivation-German.pdf

Dietrich, S., & Fuchs-Brüninghoff, E. (Hrsg.). (1999). Selbstgesteuertes Lernen. Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur. Abgerufen von www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-1999/dietrich99_01.pdf

Konrad, K. (2014). Lernen lernen – allein und mit anderen. Wiesbaden: Springer VS.

Konrad, K., & Traub, S. (2010). Selbstgesteuertes Lernen (2. Aufl). Baltmannsweiler: Schneider.

Küppers, G. (1996). Chaos: Unordnung im Reich der Gesetze. Wissenschaftsphilosophische Betrachtungen zur Chaosforschung. In G. Küppers (Hrsg.), Chaos und Ordnung. Formen der Selbstorganisation in Natur und Gesellschaft (S. 149–174). Stuttgart: Reclam.

Lenzen, D. (1997). Lösen die Begriffe Selbstorganisation, Autopoiesis und Emergenz den Bildungsbegriff ab? Niklas Lumann zum 70. Geburtstag. Zeitschrift für Pädagogik (6), 949–968.

Siebert, H. (2006). Selbstgesteuertes Lernen und Lernberatung. Konstruktivistische Perspektiven (2. Aufl.). Augsburg: Ziel.

Weltner, K. (1978). Autonomes Lernen. Stuttgart: Klett-Cotta.

Witthaus, U., Wittwer, W., & Espe, C. (Hrsg.). (2003). Selbstgesteuertes Lernen. Theoretische und praktische Zugänge. Bielefeld: W. Bertelsmann.

 

Quelle aktualisiert September 2023, S. Witt


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