Wissensbaustein

Schlusssituationen

So kann der Abschied leicht fallen

Jede Veranstaltung bedeutet für Lehrende wie Teilnehmende, eine Gruppe zu gründen und diese schließlich wieder aufzulösen. Am Ende eines gemeinsamen Lernprozesses steht der Beginn einer neuen Phase: der Transfer des erworbenen Wissens in die Praxis. Wie aber schließe ich als Lehrende meine Veranstaltung gut ab?

DefinitionWas ist das?

Mit der Schlusssituation endet die Veranstaltung. Je nachdem, wie man sie im Einzelnen definiert, kann diese Situation mehr oder weniger Zeit in Anspruch nehmen. Die Situation ist immer geprägt von höchst unterschiedlichen Gedanken und Gefühlen, nicht zuletzt von Trauer bei den einen und Freude bei den anderen.

Die Gestaltung dieses Abschieds in Lehr-Lernsituationen wird vor allem in Geißlers „Schlußsituationen“ thematisiert: „Es geht in Schlußsituationen (...) nicht mehr um eine möglichst präzise Vermittlung von Erkenntnissen und Detailwissen, es geht um Erfahrungen und um Erlebnisse sowie die Entwicklung, die Verarbeitung und das Ausdrücken können von Gefühlen und Stimmungen“ (Geißler, 2005, S. 67).

Die Schlusssituation umfasst einen kritischen Rückblick, eine Bilanz, gegebenenfalls eine Aussprache zwischen Lehrenden und Teilnehmenden, oft Fragebögen, die einer Evaluation dienen; zuweilen steht eine Prüfung an. Und dann gehört der eigentliche Abschied dazu. Dieser kann auch überleiten zu einem neuen Kursangebot oder eine informellen Austausch jenseits der Einrichtung. 

MerkmaleWie geht das?

Nach Kursende wächst Neues. (Bild: Susanne Witt, CC BY-NC-ND 2.0)

Die Planung der Schlusssituation soll in angemessener Relation zur Dauer der Weiterbildung geplant werden. Wie viel Zeit man der Schlusssituation einräumen sollte, das lässt sich aufgrund Situationsgebundenheit nicht sagen. Sie bietet Raum für einen Blick zurück, wie auch einen Blick in die Zukunft.

Der letzte Tag, die letzte Stunde oder die letzte Unterrichtseinheit lassen eine zielgerichtete Wissensvermittlung nicht mehr zu. Der Energiepegel sinkt und die Gruppe ist gedanklich mit dem Auflösungsprozess befasst. Deutlich wird das im Verhalten, das zum Beispiel untereinander unverbindlicher wird.

Auf unterschiedliche Weise verarbeiten die Teilnehmenden den bevorstehenden Abschied.

Der emotionale Abschied findet sowohl bei Teilnehmenden wie Lehrenden zwischen zwei Polen statt: auf der einen Seite gibt es die Angst, verlassen zu werden; auf der andere Seite existiert das familiäre Gefühl, in der Gruppe geborgen zu sein und vielleicht von anderen gebraucht zu werden. Tief verankerte, familiäre Erfahrungen lösen unbewusst unterschiedliche Arten des Umgangs mit Abschied aus. Einige reden alles schlecht und erleichtern sich so den Abschied; andere entwerten die gewachsenen Beziehungen durch vorzeitiges oder zügiges Verlassen. Wieder andere lassen Ereignisse Revue passieren und ihren Gefühlen freien Lauf. Einige wünschen sich Nachtreffen und möchten den Abschied auf diese Weise hinauszögern. Andere freuen sich auf die Zeit danach.

Dem emotionalen Rückblick des Lehrenden über Kursthemen und -verlauf (z. B. mit einer Liste der Inhalte, siehe Anfangssituation) folgt ein eher rationaler Austausch mit den Teilnehmenden.

Der rationale Abschluss dagegen fasst den Veranstaltungsverlauf inhaltlich zusammen, zieht kritisch Bilanz, zeigt Erfolge auf und blickt in die Zukunft. Auch bietet er Raum für die Weitergabe von Materialien und den Austausch von Kontaktdaten. Der Lehrende sammelt die Beiträge der Teilnehmer, z. B. auf einem Flipchart getrennt nach positiven und negativen Rückmeldungen, fasst diese zusammen und nimmt Stellung dazu. Die durch die Visualisierung entstandene Distanz erleichtert den Vorgang. Die offene Kritikrunde in Form des „Fish-Bowl“ hat sich mit der Face-to-face-Situation als vorteilhaft für sachliche und konstruktive Rückmeldungen erwiesen. Schutzfunktionen der Gruppe oder von Tischen sind hierbei nicht vorhanden. 

Tabelle für Feedback-Barometer

Tabelle 1: Feedback-Barometer. (eigene Darstellung nach Geißler, 2005)

Tabelle 1 zeigt ein Beispiel für ein tägliches Feedback eines Teilnehmers bei einer fünftägigen Veranstaltung. Weitere Teilnehmer könnten mit einer weiteren Farbe ihr Feedback auf dem Bogen markieren (nach Geißler, 2005).

In der Schlusssituation kann der Lehrende gelungene Beispiele vorstellen. Fragebögen am Ende einer Veranstaltung haben keinen Einfluss auf den Lehrverlauf, aber für weitere Veranstaltungen. Wenn eine abschließende Beurteilung der Veranstaltung hiermit erfolgen soll, ist eine Trennung der Fragen nach Inhalten, Leitung und Institution sinnvoll.

Viele Weiterbildungen schließen mit einer Prüfung ab. Diese so erlangten formalen Bildungsnachweise oder Zertifikate gewinnen zunehmend an Bedeutung in der Arbeitswelt. 

HandlungsfelderWo brauche ich das?

Jede Veranstaltung endet einmal. Die Gestaltung der Schlusssituation entscheidet darüber, mit welchen Gedanken, Erfahrungen und Gefühlen die Teilnehmenden den Lernort verlassen. Das spielt nicht nur für Sie als Lehrenden selbst eine Rolle, sondern auch für die Einrichtung, für die oder in der Sie tätig sind.

Mit dem Abschied können auch verbliebene Spannungen aus Prüfungssituationen gelöst werden. Auch Verlustängste angesichts der bevorstehenden Trennung und Auflösung der Gruppe können abgemildert werden, wenn der gemeinsame Lernerfolg resümiert und in die Zukunft den Teilnehmenden geblickt wird. Hier kann man aufzeigen, welche Möglichkeiten für den Einsatz bzw. die Umsetzung des Gelernten es gibt.

DiskussionWas wird diskutiert?

Die öffentliche Anerkennung von Qualifikationen und Zertifikaten ist insbesondere bei der Stellenbesetzung oder Karriere entscheidend. Offen bleibt allerdings die Frage, ob Prüfungen in Schlusssituationen sinnvoll sind.

Für Prüfungen spricht, dass der Prüfungsprozess die Trennung erleichtert, indem er an die Stelle des Abschieds weniger schmerzliche Gefühle treten lässt (z. B. die Hoffnung zu bestehen oder die Angst durchzufallen). Diese Gefühle sind leichter rational zu rechtfertigen.

In der Prüfung manifestiert sich zudem für Lehrende und Lernende der Erfolg der Weiterbildung, auch wenn das anschließende Kontra nicht von der Hand zu weisen ist.

Gegen Prüfungen in der Schlusssituation spricht die emotionale Belastung, die eine Bewertung dessen, was die Teilnehmenden wissen und können, verdeckt. Am Ende von Gruppenprozessen steht aufgrund der Trennung nur ein geringes Energiepotenzial zur Verfügung, was die Leistungsfähigkeit negativ beeinflusst. Das heißt, die in dieser Situation abgerufene Leistung entspricht nicht dem wahren Leistungspotenzial des Lernenden. Die emotionalen Folgen von Prüfungen in Schlusssituationen sind Orientierungslosigkeit und depressive Stimmungen, wie „Leere“ oder „in ein Loch fallen“.

Auch Lehrende reagieren potenziell negativ auf die Prüfungssituation in Schlusssituationen. Um eine Trennung von der Gruppe zu vermeiden, kann es geschehen, dass Prüfende das Bestehen seitens der Lernenden durch unangemessen schwierige Aufgaben verhindern.

Um dies zu vermeiden, sollten Prüfungen jederzeit veranstaltungsbegleitend und nicht am Schluss stattfinden. Hierdurch werden emotionale Belastungen vermieden. Muss einrichtungsbedingt eine Prüfung am Ende der Veranstaltung stehen, so sollte Zeit für soziale und individuelle Abschiede – unter Einschluss und Verarbeitung der Prüfungserfahrung – eingeplant werden.


Service

Zur Reflexion

  • Wie kann eine offene Diskussionsrunde für kritische Rückmeldungen gestaltet werden? 
  • Wie gehen Teilnehmende mit ihren Emotionen in der Schlussphase einer Veranstaltung um? 
  • Wie wirken sich Abschlussprüfungen auf die Teilnehmenden aus?

Literaturliste

  • Geißler, K. (2005). Schlusssituationen (4. Aufl.). Weinheim, Basel: Beltz.
    Der Autor beschreibt verschiedene Emotionsebenen von Teilnehmern und Dozenten in der Erwachsenenbildung, ihre Auswirkungen und Strategien zur Bewältigung.
  • Nuissl, E., & Siebert, H. (2013). Lehren an der VHS. Bielefeld: W. Bertelsmann.
    Der Band aus der Reihe „Perspektive Praxis“ gibt einen praktischen Überblick über die Aufgaben und Herausforderungen rund um das Tätigkeitsfeld der Kursleitung an Volkshochschulen.

Quellen

Geißler, K. (2005). Schlusssituationen (4. Aufl.). Weinheim, Basel: Beltz.

Nuissl, E., & Siebert, H. (2013). Lehren an der VHS. Bielefeld: W. Bertelsmann.

Quilling, E., & Nicolini, H. J. (2007). Erfolgreiche Seminargestaltung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Siebert, H. (2010). Methoden für die Bildungsarbeit (4. Aufl.). Bielefeld: W. Bertelsmann.

Szepansky, W.-P. (2010). Souverän Seminare leiten (2. Aufl.). Bielefeld: W. Bertelsmann.


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