Birgit Aschemann Blog

Datenkompetenz in der Erwachsenenbildung

Das Bild zeigt eine Weltkugel aus der Sicht des Alls. Um die Weltkugel herum sind einige angedeutete Linien und Verbindungen zu schemenhaften Formeln oder Codeschnipseln.

Bild von Pete Linforth auf Pixabay (Pixabay Licence)

Warum es sinnvoll ist, den Begriff Datenkompetenz in der Erwachsenenbildung genauer unter die Lupe zu nehmen, erklärt Birgit Aschemann vom österreichischen Verein CONEDU in diesem Blogbeitrag. Denn Datenkompetenz ist keine künstlich konstruierte Kompetenz, sondern vielmehr die Chance,  mit Blick auf aktuelle Technologien den Überblick über digitale Zusammenhänge und die Verknüpfung der persönlichen Daten zu erlangen und zu verstehen.

Im Jahr 2023 ist der Alltag von Verfahren der Datensammlung, der Datenauswertung und der Anwendung ihrer Ergebnisse durchdrungen – zumeist ohne große Deklaration. Das weltweite Datenvolumen steigt in einem unvorstellbaren Ausmaß; längst wird das Volumen der „Global Datasphere“ in Zettabyte gemessen. Daten sind also eine Schlüsselressource für Wirtschaft und Gesellschaft geworden. Die Europäische Kommission schätzt, dass sich bis 2025 die Anzahl der Datenexpert*innen in Europa gegenüber 2018 verdoppeln wird. Zugleich machen datenbasierte Geschäftsprozesse die Einzelperson zum Ziel für selektive Marketingmaßnahmen und Informationsvermittlung sowie für Algorithmen-basierte Entscheidungen.

Informationsstand ausreichend?

Wie ist es um den diesbezüglichen Informationsstand in der Bevölkerung bestellt? Wer weiß genau, wie die heutigen Wetterdaten zustande kommen, was mit den Daten aus der Fahrzeug-Navigation passiert und ob es sich auszahlt, die Cookie-Einstellungen bei der Internetrecherche anzupassen? Im täglichen Medienhandeln werden die datenbasierten Geschäftsmodelle der Social Media Plattformen zumeist unreflektiert bedient. Nutzer*innen-Profile entstehen bei Alltagshandlungen im Internet oft ohne dass sich User*innen darüber bewusst sind. Und kaum jemand hinterfragt eine Hochglanz-Grafik auf ihre Datenbasis oder ein KI-Ergebnis auf seine Trainingsdaten. Ist das (un)problematisch? Und kann „Datenkompetenz“ Abhilfe schaffen?

Datenkompetenz – was ist das?

Datenkompetenz sei die Fähigkeit, Daten auf kritische Art und Weise zu sammeln, zu managen, zu bewerten und anzuwenden, heißt es in einer Forschungssynthese aus dem Jahr 2015. Diese Definition lässt an Fähigkeiten denken wie das Durchführen von Internetrecherchen oder Umfragen, das Erstellen von Excel-Tabellen, das Anwenden von Webanalysetools oder das Verfassen von datenbasierten Berichten.

Ein deutschsprachiger Kompetenzrahmen für Datenkompetenz wurde 2019 in Form des Framework Future Skills Data Literacy für den Hochschulbereich vorgelegt und spricht insbesondere jene Fähigkeiten an, die in Forschungssituationen nötig sind. 2020 veröffentlichten zwei Hamburger Forscher dann im „Informatik Spektrum“ einen Aufsatz mit dem Titel „Datenkompetenz – Data Literacy“, in dem sie Datenkompetenz als Schlüsselkompetenz für das 21. Jahrhundert bezeichnen und darunter vor allem Datensammlung, Datenmanagement, Datenevaluation und Datenanwendung (inklusive Datenethik) subsummieren.

All dies ist weiterhin aktuell, sollte jedoch angesichts rasch fortschreitender Entwicklungen weitergedacht werden, denn Definitionen wie „Datenkompetenz“ – die eng mit technologischen Entwicklungen verknüpft sind – sind immer als dynamisch zu begreifen.

Datenkompetenz revisited: was sich verändert hat

Das Geschäftsmodell sozialer Medien zielt auf das Generieren von Interaktion ab, und die Algorithmen im Hintergrund befeuern dieses Geschäftsmodell. User*innen sollen teilen, liken, kommentieren und Datenspuren hinterlassen, und sie tun dies am ehesten bei emotional aufgeladenen Darstellungen. Das wirkt in Summe polarisierend und destabilisierend. Medienbildung, die über solche Dynamiken aufklärt, ist insofern ein Beitrag zur Medienmündigkeit und Demokratie. Social-Media-User*innen, die darüber aufgeklärt sind, verstärken die Erregungsmuster der Online-Öffentlichkeit (hoffentlich) nicht weiter.

Zusätzlicher Aufklärungsbedarf ist 2023 durch die großflächige Verfügbarkeit generativer KI hinzugekommen. Große Sprachmodelle wie ChatGPT generieren Informationen auf Basis von Trainingsdaten, die Verzerrungen wie etwa den Gender-Bias enthalten – das gilt es bei der Interpretation der Ergebnisse zu bedenken. Auch können beim Output reiner Sprachmodelle die direkten Quellen der Ergebnisse nicht nachverfolgt und daher auch nicht kontextualisiert werden. Für KI-Produkte gilt vor allem: es ist nicht das, wonach es aussieht. Es braucht also Funktionsverständnis und Datenbildung, um mit KI-Tools wie ChatGPT korrekt umzugehen – zumindest, wenn die Ergebnisse für Veröffentlichungen oder Unterrichtssituationen vorgesehen sind. Zusätzlich gilt es immer, den Datenschutz mitzudenken, wenn generative KI-Tools genutzt werden.

Und schließlich lässt die KI-Anwendung eine Fülle von oberflächlichen oder unrichtigen Informationen im Web erwarten – seien sie nun absichtlich oder aus Unkenntnis generiert. Auch die Rezeption dieser Inhalte erfordert Knowhow, nämlich kritisches Denken oder anders gesagt, spezifische Datenkompetenz. Zwar fordert der aktuelle Vorschlag zum KI-Gesetz (AI Act) der EU neben Regelungen für Hochrisiko-KI auch eine Deklaration von Produkten wie ChatGPT ein, allerdings mit ungewissem Ausgang.

Lässt man all diese Aspekte in das Konzept „Datenkompetenz“ einfließen, so rückt diese in die Nähe der „kritischen Medienkompetenz“, wie sie in einem Video des bifeb von Mario Friedwagner erläutert wird.

Was bringt das Konzept der Datenkompetenz für die Erwachsenenbildung?

Datenkompetenz ist zwar seit langem definiert, findet jedoch in Programmen der österreichischen Erwachsenenbildung nach außen hin wenig sichtbare Anwendung.

Dabei handelt es sich bei „Datenkompetenz“ in ihrer neueren Lesart („revisited“) um eine Kompetenz an der Schnittfläche zur Kritischen Medienkompetenz. Jetzt mehr „Datenkompetenz“ zu fordern, kommt daher einem Ruf nach Aufmerksamkeitsverlagerung gleich – in diesem Fall nach mehr Aufmerksamkeit für die aktuellen Mechanismen der sozialen Medien und der generativen KI (und weiterer datenbasierter Geschäftsmodelle der Zukunft).

Könnte dieser Fokus strategisch dazu beitragen, das gesellschaftspolitisch wichtige Anliegen der Aufklärung besser umzusetzen?  Und könnte gar die Erwachsenenbildung davon profitieren?

Beides ist durchaus möglich. Schließlich geht es infolge von Social Media und generativer KI mehr denn je um kritisches Denken und wache Medienmündigkeit. Das sind zwar auch Themen der politischen Bildung, aber mit Begriffen wie „politischer Bildung“ und „kritischem Denken“ hat die Erwachsenenbildung traditionell ein Marketingproblem – beides ist an Teilnahmezahlen gemessen ein Minderheitenprogramm. Zurechtzukommen in einer datengetriebenen Welt könnte jedoch ein Lernanliegen vieler Menschen treffen – und das nicht erst dann, wenn biografisch relevante Entscheidungen in ihrem Leben auf Basis von Algorithmen getroffen werden. Im besten Fall ist Datenkompetenz für alle interessant, die sich fragen, worauf ihre Risikoeinstufung in der Versicherung basiert, wohin die Daten aus ihrem Fahrzeug-Navi weitergeleitet werden und warum man Cookie-Abfragen oft nur aufwändig abwählen kann.

Datenkompetenz auf der politischen Agenda

Der Europäische Rahmenplan zu digitalen Kompetenzen - kurz DigComp - enthielt schon in der Fassung 2.1. aus dem Jahr 2017 den Kompetenzbereich „Information and data literacy“, der die Recherche, die kritische Bewertung und die Verwaltung von Informationen und Daten als Kompetenzziele definiert. Das wurde so in das österreichische Modell DigComp 2.2. AT übernommen und schließlich (mit dem Zusatz „kritisch“) im Modell DigComp 2.3 weitergeführt.

2021 beschloss die deutsche Bundesregierung eine umfangreiche Datenstrategie, die unter anderem explizit darauf abzielt, die Datenkompetenz der deutschen Bevölkerung zu erhöhen. In Österreich legte der (damalige) Rat für Forschung und Technologieentwicklung 2022 ein Positionspapier mit dem Titel „Datenexzellenz: Strategien für Österreich“ vor, das eine gezielte Anhebung der Datenkompetenz in der österreichischen Bevölkerung fordert. Das Wunschszenario einer datenkompetenten Bevölkerung scheint Konsens zu sein - in Österreich als auch darüber hinaus.

abei ist ein gewisses Spannungsfeld mit wirtschaftlichen Anliegen nicht zu übersehen. In einer Publikation zum Digitalen Aktionsplan Austria mit dem Titel „Die große Daten-Chance“ heißt es: „Datensouveränität ist nur möglich, wenn in der gesamten Gesellschaft ein ausreichendes Wissen über die eigenen Daten, die Datenverarbeitung dieser sowie die Chancen und Risiken der Datennutzung besteht“. Zugleich wird das Konzept der Datensouveränität durch die Aufforderung zur „Datensolidarität“ ergänzt. Gemeint ist im Wesentlichen eine Aufforderung zum Teilen von Daten für Zwecke mit einem gesamtgesellschaftlichen Mehrwert. Den Hintergrund bildet die Europäische Datenstrategie mit dem Ziel, einen Binnenmarkt für Daten zu etablieren und die gemeinsame Datenweitergabe in der EU über verschiedene Branchen und Ländergrenzen hinweg zu ermöglichen. Die nationale Umsetzung der Europäischen Datenstrategie in Österreich obliegt seit Juli 2023 dem Bundesministerium für Finanzen (BMF) .

 

CC BY-SA 4.0 Erstveröffentlicht auf der EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa am 28.11.2023, durch Birgit Aschemann/CONEDU, 


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