Handlungsanleitung

Der Gold-Standard für Spiele als OER

Sprechen wir von „Spielen“, denken wir nicht sofort an Bildung und Lernen. Dabei gibt es eine Vielzahl an Spielen, die extra für Lernzwecke entwickelt wurden. Wie das geht, Spiele als OER zu entwickeln und wie man Spiele am besten offen, also gemäß dem Gold-Standard veröffentlicht, erklärt Daniel Behnke.

Warum mit Spielen lernen? Von Brokkoli mit Schokoguss und schmackhafteren Rezepturen

Wir alle spielen. Ob Fußball, Siedler oder Tetris. Spielen ist eine alltägliche Freizeitbeschäftigung. Woran man beim Thema „Spielen“ jedoch vielleicht nicht sofort denkt: Bildung & Lernen.

Das Bild zeigt das Foto eines Brokkoliröschens, das mit Schokolade überzogen ist.

Keine wirklich schmackhafte Kombination: „Chocolate-Covered Broccoli“
Foto: Daniel Behnke, digital-spielend-lernen.de, CC BY-SA 4.0

Dabei sind Lernen und Spielen eng miteinander verknüpft. Spiele stellen uns vor interessante Herausforderungen. Um Spiele zu gewinnen, müssen wir (kreative) Lösungen erarbeiten. Und in vielen Spielen müssen wir Wege finden, mit unseren Mitspieler*innen zielführend zusammenzuarbeiten. Einfach gesagt: Wir müssen lernen, um die Herausforderungen zu meistern.

Außerdem gibt es viele Spiele, die gezielt für Lernzwecke entwickelt werden, digitale wie analoge. Diese Lernspiele werden jedoch hier und da auch kritisch beäugt. Nicht zuletzt, weil derartig angepriesene Spiele für die Spieler*innen des öfteren nach   Chocolate-Covered Broccoli  schmecken. Soll der gesunde Lerninhalt etwa unter süßen Spielereien versteckt werden? Ist es gar kein „richtiges“ Spiel?

Dieser Artikel beschreibt, wie man Spiele als OER entwickeln kann. Dabei wird eine Rezeptur vorgestellt, die (hoffentlich) zu etwas schmackhafteren Erlebnissen führt als der „Brokkoli mit Schokoguss“.

Spiele als OER

Besonderheiten – Was gibt es zu beachten?

Spiele sind multimedial. Das gilt für analoge Spiele, die aus den unterschiedlichsten physischen Spielmaterialien mit Texten und Illustrationen bestehen. Z.B. aus Spielkarten, Würfeln oder Figuren. Und es gilt für digitale Spiele, die neben Grafiken und Texten meistens Animationen, Sound und Musik enthalten. Außerdem bestehen sie aus Programmcode.

Spiele bestehen aus … ja woraus eigentlich? Es gibt keine klare Definition davon, was ein Spiel ist. Es gibt so viele unterschiedliche Arten und Formen von Spielen, dass man keine pauschale Antwort geben kann (Schell, 2015). Für den pragmatischen Einstieg in die Spieleentwicklung eignen sich z.B. diese sechs Grundelemente. Denn mit ihnen bewegt man sich deutlich in Richtung Spielerlebnis.

Das Bild zeigt Piktogramme und dazugehörige Bezeichnungen von Zielen, Herausforderungen, Mechaniken, Komponenten, Regeln und Spielfelder.

Für den Einstieg in die Spielentwicklung geeignete Spielelemente (Institute of Play, 2018). Abbildung: Daniel Behnke, spielend-lernen.deCC-BY-SA 4.0

Einzelne Spielbestandteile bereitstellen: Neben dem nutzbaren Spiel – z.B. das fertiggestellte Karten- oder Videospiel – sollten auch die einzelnen Spielbestandteile so bereitgestellt werden, dass diese bearbeitet und zu neuen OER-Materialien verarbeitet werden können. Dazu zählen alle Komponenten, Grafiken, Texte, Audios, Skripte usw. – d.h. alle Teile des Spiels, die separat bearbeitet werden können.

Spiele benötigen ggf. mehrere Lizenzarten. Wenn Spiele aus verschiedenen Materialien bestehen, braucht es die passende Lizenzart, unter der die einzelnen Materialien als OER bereitgestellt werden können. Ein Kartenspiel besteht (an Komponenten) v.a. aus Karten, auf denen sich Texte, Grafiken oder Fotos befinden. Ein digitales Spiel besteht u.a. aus Code/Skripten, Audios, Sounds, Animationen. Die Lizenzart ist abhängig von der Art des Materials. Zu vielen dieser Materialarten bzw. zu den dafür notwendigen Lizenzarten finden sich Beispiele in den Artikeln dieser Reihe.

Das ideale OER-Format für Spiele

… gibt es nicht. Wie erwähnt gibt es diverse Spielformate, die aus den unterschiedlichsten Materialien bestehen und in allen erdenklichen Medienarten beheimatet sind. Es gibt aber einige Formate, die gerade in Bildungskontexten vermehrt genutzt werden. Der hier beschriebene Entwicklungsansatz – d.h. der Fokus auf die oben beschriebenen 6 Spielelemente sowie die Arbeit mit einem Game Design Document und das iterative Vorgehen (s.u.) – ist z.B. geeignet für interaktive Stories, Point-and-Click-Adventures und Print-and-Play-Spiele. Er lässt sich aber auch auf viele andere Formate wie etwa EduBreakouts  übertragen.

Die No-Gos bei OER-Spielen

Urheberrechte übergehen: Die Spielerlebnisse, die Spielautor*innen und alle am Designprozess Beteiligten erschaffen, verdienen Anerkennung. Bloße Kopien oder einfache Mods (wie etwa die Änderung des Spielthemas bei gleichzeitiger Übernahme des restlichen Spiels) ohne die Zustimmung der Rechteinhaber*innen sind nicht akzeptabel.

Vorhandene OER-Spiele ungenutzt lassen: Bestehende OER-lizenzierte Spiele sollten unbedingt weiterverwendet, geteilt und ge-remixed werden.

Chocolate-Covered Broccoli anbieten: Diese Mischung ist wie aufgezeigt nicht erstrebenswert. Kurze spielerische Phasen mit ansonsten formalen, expliziten Lernphasen abzuwechseln, ist z. B. selten zielführend. Dadurch unterbricht man sehr wahrscheinlich den Spielfluss (Kerres, Bormann, Vervenne, 2009). Die Abstimmung von didaktischen und spielerischen Aspekten ist ein wichtiges, lernrelevantes Entwicklungsziel.

Fehlende Lernziel-und-Kernmechanik-Abstimmung: Dabei handelt es sich um eine Methode, die spielerischen und didaktischen Aspekte aufeinander abzustimmen    (s.a. Boller & Kapp, 2017). Die Tätigkeiten, die man beim Erreichen der angestrebten Lernziele beherrscht, werden dabei mit den wesentlichen Tätigkeiten im Spiel (also mit den Kernmechaniken) abgestimmt.

Spielentwicklung ohne Einbindung in Lernszenarien: Entwickelt man Spiele für einen Lernzweck, sollte man Hinweise zur konkreten Anwendung geben, z. B. in Form didaktischer Begleitmaterialien.

Lizenzierung

Für die meisten Materialien (Bilder, Texte, Musik, etc.) eignen sich die CC-Lizenzen. Was beim jeweiligen Material zu beachten ist, wird in den entsprechen Artikeln dieser Reihe erläutert.

Stellt man Spiele als Software bereit, dürfen nur die selbst erstellten (Code-)Bestandteile als OER geteilt werden – bzw. nur Skripte, die weitergegeben werden dürfen – und nicht etwa im Code referenzierte, proprietäre Programmbibliotheken.

Außerdem muss man bei digitalen Spielen darauf achten, dass die erstellten Inhalte (Skripte, Animationen, Grafiken, Texte, Audios etc.) unter einer passenden offenen Lizenzierung bereitgestellt werden. Hinweise zu verschiedenen Lizenzen gibt es z. B. bei   GNU.org.

Offene und empfehlenswerte Tools für OER-Spiele

Produktion: Erstellung und Bearbeitung

Es bietet sich an, vorhandene OER-Games zu remixen, z.B. das   BNE/OER-Quartett, das   Sketchnote-Game, die Spiele der   Green Box of Games    oder die   HOOU-Lernangebote zum Spielerischen Lernen.

Das Bild zeigt ein Beispieldokument für ein einfaches Game Design.

Beispiel für ein sehr  einfaches Game Design Document (GDD).

Daneben kann man z. B. auch von einzelnen Genres (z. B. Point-and-Click Adventures oder Escape Rooms) oder von einzelnen Spielmechaniken ausgehen (z.B.   Card Drafting    oder   Set Collection). Dann gilt es weitere passende Spielelemente zu finden, um ein spielerisches Erlebnis zu erschaffen. Beginnen kann man z. B. mit Hilfe der o.g. sechs Grundelemente.

Außerdem helfen etablierte Techniken und Tools des Game Designs einerseits und des didaktischen Designs andererseits.

Ein Game Design Document, also ein Dokument in dem wesentliche Designentscheidungen festgehalten werden (z. B. Zielgruppe, Spieldauer, Anwendungszweck) kann sehr hilfreich sein, gerade wenn man im Team arbeitet. Außerdem hat man so direkt die wichtigsten Daten für die Veröffentlichung parat (s.u.).

Der Game Design-Zyklus, der den häufig anzutreffenden iterativen Design-Prozess beschreibt, lenkt den Fokus auf die wesentlichen Design-Schritte. Hervorgehoben werden sollen an dieser Stelle die Arbeit mit Prototypen und Playtesting: Erstere helfen, die eigenen Ideen in konkrete, testbare und bearbeitbare Form zu bringen. Sie können dann beim Playtesting auf Herz und Nieren geprüft werden, idealerweise mit der Zielgruppe.

Das Bild zeigt den Zyklus des Games Designs von Analysieren, Design und Entwicklung, Prototypen und Playtests, Anwendung bis hin zur Reflexion.

Der Game Design-Zyklus beschreibt ein mögliches Vorgehen bei der Spielentwicklung.
Abbildung: Daniel Behnke, spielend-lernen.deCC-BY-SA 4.0

Die passenden Tools zur Erstellung hängen von der Art des Spiels ab. Interaktive Stories können mit Twine  erstellt werden. Hilfreiche Informationen zur Arbeit mit diesem Tool bietet die Initiative Creative Gaming unter   Medienkompetent mit digitalen Spielen. Auch   h5p    kann zur Erstellung interaktiver Videogeschichten im Stile von   Bandersnatch    genutzt werden. Letztlich ist die Wahl des richtigen Tools eine Frage der Kreativität; man könnte z. B. auch nur eine Videospur mit verschiedenen Time Indizes erstellen, zwischen denen man – sozusagen wie bei einem klassischen Adventure Book – hin und her springt, um die Story durchzuspielen.

Point-and-Click-Adventures können mit   Unity    erstellt werden, einer sehr vielseitigen Entwicklungsplattform. Wie bereits angemerkt, muss man bei der Nutzung solcher Entwicklungsumgebungen genau darauf achten, wie man hinsichtlich OER damit arbeiten kann.

Zur Erstellung von Print-and-Play-Spielen können diverse Grafik- und Textbearbeitungprogramme genutzt werden.

Veröffentlichung

Das fertige Spiel kann je nach Art unterschiedliche bereitgestellt werden. Print-and-Play-Dateien können z. B. über OER-Plattformen wie   tutory.de   oder   ZUM-Unterrichten    geteilt werden. Ausführbare Dateien können u.a. als HTML5-Dateien bereitgestellt werden. Quelldateien bzw. die einzelnen Spielkomponenten können z.B. via   GitHub  (mit entsprechenden READ ME und LICENCE-Dateien versehen) veröffentlicht werden.

Damit ein Spiel größeren Anklang bei möglichen Anwender*innen findet, lohnt es sich auch, gezielt Zusatzinformationen bereitzustellen; sowohl zum Spiel selbst (wie funktioniert es, was ist das Ziel, …) als auch zu den intendierten Lernsituationen, in denen das Spiel eingesetzt werden kann. Dazu zählen z. B. die Spielvorbereitung, die Hinführung zum Spiel, der Rollout (Regelerklärung und Einstieg ins Spiel), die Durchführung und das Debriefing bzw. die Anknüpfung ans Spiel in der jeweiligen Lernsituation (z.B. durch Reflexion, Diskussion oder anschließende Arbeitsaufträge).

Für analoge Spiele ist es wichtig, dass die Spielregeln klar und verständlich vermittelt werden – idealerweise mit erläuternden Bildern.

Des Weiteren sollten Metadaten zwecks Maschinenlesbarkeit und damit für eine bessere Auffindbarkeit des Spiels geteilt werden. Dabei hilft z. B. das   LRMI-Vokabular.

Nachnutzung

Alle Quelldateien sollten so „unvermischt“ wie möglich veröffentlicht werden, damit man die Komponenten einzeln verändern kann. Natürlich muss man sicherstellen, dass man für alle geteilten Materialien, die entsprechenden Rechte hat (z. B. für Sounds, Musik, Grafiken).

Die Dokumentation der Designentscheidungen (z. B. im Game Design Document), didaktische Hinweise sowie Begleitmaterialien sind ebenfalls für die Nachnutzung interessant. So erhält man schnell einen Überblick, was man ändern muss, z. B. wenn man das Spielformat beibehalten, den Lerninhalt aber austauschen möchte.

Wohin mit den Lizenzangaben?

Bei Print-and-Play-Spielen können die Angaben auf den (auszudruckenden) Spielmaterialien angegeben werden (z. B. auf der Spielregel). Bei digitalen Spielen bietet es sich an eine LICENCE-Datei beizufügen. Außerdem können Lizenzangaben bei digitalen Angeboten direkt bei der Download-Datei oder im eigentlichen Spiel (z. B. Splash Screen, Title Screen oder im Menü) vermerkt werden. Außerdem sollten die Lizenzangaben wo möglich auch als Metadaten bereitgestellt werden (s.o.).

Kollaboration bei der Entwicklung von OER-Spielen

Kollaboration ist selbstverständlich in der Spielentwicklung. Es bedarf unterschiedlicher Expertisen, um ein Spiel zu verwirklichen. Die relevanten Rollen und Teamstrukturen kann man von Game Studios abschauen und auf das eigene Team übertragen: Wer ist Game Designer*in, Educational Designer*in, Game Artist, Level Designer*in, Story Writer, Programmierer*in usw.
Gleichzeitig sollte man sich nicht von der Menge an Tätigkeitsbereichen aus der Games Branche einschüchtern lassen. Es gilt, nach Bedarf und ganz pragmatisch die Rollen auszufüllen, die konkret benötigt werden. Und man kann natürlich auch alleine oder zu zweit Spiele entwickeln. Dann gilt es v.a. das Spielprojekt auf ein machbares Maß zu skalieren, etwa indem man mit einfachen Materialien anfängt und z. B. ein OER-Kartenspiel als Print-and-Play entwickelt.
Egal, wie viele Personen an einer OER-Spiele-Produktion beteiligt sind, sie alle sollten für ihre Beiträge bei den Lizenzangaben (s.o.) erwähnt werden, ggf. mit einem Hinweis zur Rolle oder zu den beigetragenen Elementen (Game Design, Code, Game Art, Audio Design,…).

Dieser Text steht unter der   CC BY 4.0-Lizenz. Der Name des Urhebers soll bei einer Weiterverwendung wie folgt genannt werden:   Daniel Behnke   für  OERinfo – Informationsstelle OER.


Quellen



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